4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage (2007)

Im Laufe eines Tages

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Es gehörte sicher zu den großen Überraschungen des Kinojahres 2007, dass ein Land sich zu den Gewinnern zählen durfte, das ansonsten nur selten für große Aufmerksamkeit sorgen konnte – Rumänien. Denn neben der Auszeichnung in der Nebenreihe "Un certain regard" des Filmfestivals von Cannes für Cristian Nemescus California Dreamin' war es vor allem der Gewinn der Goldenen Palme für den bis dato weitgehend unbekannten Regisseur Cristian Mungiu, der für Aufsehen sorgte, obwohl sein Film während des gesamten Festivals als einer der heißen Anwärter auf den Hauptpreis gegolten hatte. Kein Wunder also, dass schnell das geflügelte Wort von der "Nouvelle vague roumaine" die Runde machte. Seitdem hat der Film seinen Weg gemacht, wurde auf vielen Festivals gezeigt und gefeiert und ist natürlich auch für den Europäischen Filmpreis nominiert, wo er als einer der Top-Favoriten gilt. Dabei ist 4 Monate, 3 Woche und 2 Tage / 4 Luni, 3 Saptamini si 2 Zile keine leichte Kost, sondern sperriges, düsteres Autorenkino der alten Schule; ein Film, der in Vielem so wahrhaftig, so lebensnah ist, dass neben aller Freude, solch einen Film erleben zu dürfen, seine Intensität auch schmerzt.

Der Film spielt an einem tristen Tag im Jahre 1987 in einer kleinen Stadt irgendwo in Rumänien. In einem grauen, entsetzlich trostlosen Studentenwohnheim teilen die beiden Freundinnen Otilia (Anamaria Marinca) und Gabita (Laura Vasiliu) ihr kärgliches Zimmer ebenso wie die Dinge des alltäglichen Bedarfs, die man nur noch auf dem Schwarzmarkt bekommen kann. Das Land ist unter dem Diktator Nicolai Ceaucescu zu einem der ärmsten Länder Europas geworden, das Regime ist korrupt und siecht ebenso wie das Land dem Ende entgegen, doch der Silberstreif der Befreiung vom Joch der kommunistischen Herrschaft zeigt sich noch nicht am Horizont – die Menschen sind viel zu sehr damit beschäftigt, über die Runden zu kommen. Als Gabita ungewollt schwanger wird, steht sie vor einem Problem, aus dem es scheinbar keinen Ausweg gibt: In Rumänien ist Abtreibung seit 1966 verboten, doch sie sieht keine Möglichkeit, das Kind zu behalten und aufzuziehen. Gemeinsam haben die beiden Frauen den geheimen Schwangerschaftsabbruch generalstabsmäßig vorbereitet, sich von Freunden und Bekannten Geld ausgeliehen und ein Zimmer angemietet, in dem die Operation vorgenommen werden soll. Dann aber wird Gabita an der Rezeption abgewiesen und muss sich in ein anderes, wesentlich teureres Hotel einmieten, was das ohnehin schon schmale Budget weiter schrumpfen lässt. Auch der Abtreibungsarzt Bebe (Vlad Ivanov) erweist sich als echtes Problem, denn als er feststellt, dass Gabitas Schwangerschaft schon viel weiter fortgeschritten ist als zunächst angenommen, erpresst er die beiden jungen Frauen und fordert Sex als Belohnung seiner Dienste. Es beginnt eine quälende und erniedrigende Tortur, und am Ende dieses Tages werden Gabita und Otilia nicht mehr dieselben sein…

Tales from the golden age, so lautet der Titel eines als Trilogie angelegten großen Projektes, an dem Cristian Mungiu arbeitet und dessen ersten Teil er mit diesem Film vorlegt. Was die Filme miteinander verknüpfen soll, ist das übergeordnete Thema: Anhand von Einzelschicksalen will Mungiu vom Leben unter Ceaucescu erzählen, und zwar ungeschminkt, nah an den alltäglichen Geschehnissen, an den Sorgen und Nöten ganz normaler Rumänen und Rumäninnen, wobei dann auch schnell klar wird, dass diese Zeit allenfalls für die wenigen Herrschenden eine wahrhaft güldene war. Genau dies drückt sich auch in jeder Szene, jeder Einstellung von 4 Monate, 3 Woche und 2 Tage / 4 Luni, 3 Saptamini si 2 Zile aus, in großartigen, sehr dichten und den Hauptdarstellerinnen schmerzhaften nahen Szenen macht Mungiu private Schicksale ebenso sichtbar wie das ganze Elend der rumänischen Gesellschaft, in der die Menschen längst jegliche Hoffnung verloren hatten, in der es nur noch ums Überleben ging und in der einzig die wunderbare Solidarität und Freundschaft von Otilia und Gabita andeuten, dass die Mitmenschlichkeit eine letzte Trutzburg gegen die vollkommene Verrohung und die bleischwer lastende Hoffnungslosigkeit sein kann.

Man darf also gespannt sein auf die weitere Entwicklung des rumänischen Films, vor allem aber auf die nächsten Filme Cristian Mungius, der auf eindrucksvolle Weise zeigt, wie bewegend und klarsichtig ganz alltägliche Geschichten ganz normaler Menschen sein können, wenn man sie auf solch eine intensive, ungekünstelte Weise umzusetzen vermag.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/4-monate-3-wochen-und-2-tage-2007