[Rec]

„Kamera läuft“

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

„Während Sie schlafen“, so lautet der Titel des TV-Formats, für das die – natürlich attraktive – Moderatorin Ángela (Manuela Velasco) zusammen mit ihrem Kameramann Pablo (von dem ist während des gesamten Films nichts zu sehen, schließlich ist er das Auge, durch das wir der Handlung folgen) arbeitet. Und man ahnt es bereits, dass nachts da draußen die Monster lauern – „der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“, so der Titel eines berühmten Bildes von Francisco de Goya. Dabei beginnt alles ganz harmlos: Der Idee von „Während Sie schlafen“ folgend begleiten Ángela und Pablo dieses Mal mit der Kamera Feuerwehrmänner bei ihren nächtlichen Einsätzen, und zunächst befürchten die Fernseh-Profis, die anstehende Nacht könne sich als langweilig und ereignislos erweisen. Wenn sie wüssten, was ihnen bevor steht...
Als die Feuerwehrleute und mit ihnen das Fernsehteam zu einem Mietshaus gerufen werden, bei dem eine Person eingeschlossen sein soll, sieht zunächst alles nach einem ganz normalen Routineeinsatz aus. Aus einer Wohnung sind die Schreie einer allein lebenden Frau zu hören und die übrigen Mieter haben sich bereits im Treppenhaus versammelt. Als es den Feuerwehrmännern und den anwesenden Polizisten gelingt, die Wohnung aufzubrechen, finden sie eine verstörte alte Frau vor, deren Nachthemd über und über mit Blut besudelt ist. Völlig überraschend greift die Frau einen der Polizisten an und verbeißt sich in ihm, nur mit Mühe gelingt es, den Unglücklichen zu befreien. Doch der Schwerverletzte kann nicht nach draußen gebracht werden, da die Polizei in der Zwischenzeit das Gebäude systematisch abgeriegelt hat. Dann überschlagen sich die Ereignisse – ein Feuerwehrmann, der in der Wohnung der alten Frau zurückgeblieben war, stürzt das Treppenhaus hinunter, eine junge Frau kommt ebenfalls zu Tode und schließlich muss die verwirrte Alte erschossen werden, da sie immer wieder Menschen angreift. Die Stimmung wird zunehmend gereizt, panisch suchen die Bewohner nach einem Ausweg aus dem Haus, während Ángela und Pablo die Ereignisse mit der Kamera dokumentieren...

Immer wieder in den letzten Jahren zeigt sich, dass Spanien eine ausgezeichnete Adresse für Horrorfilme ist, die den Vergleich mit amerikanischen Produktionen nicht scheuen müssen. Während unlängst Das Waisenhaus / El Orfanato für eher dezenten Grusel sorgte, gehen Jaume Balagueró und Paco Plaza mit ihrem Film [Rec] eher beherzt zur Sache und schicken die Kinobesucher auf eine Tour de force, bei der an literweise (Kunst)Blut nicht gespart wird.

Neu ist die Idee nicht, mittels der Geschichte und der Erzählhaltung eine größtmögliche Authentizität zu erzeugen – Blair Witch Project und Cloverfield haben dieses Konzept bereits verwendet. Und wenn man sich der Grusel-Literatur zuwendet, so gehört die Beteuerung, all dies sei wirklich geschehen, gar zu den ältesten Kniffen des Genres. Trotzdem oder gerade deswegen: Bei [Rec] funktioniert der Kniff, die Wackelkamera zieht den Zuschauer förmlich in das Geschehen hinein und erzeugt eine beinahe perfekte Atmosphäre von Nähe und Unmittelbarkeit, die dann und wann ironisch gebrochen wird. Als ziemlich trickreich und nahe liegend erweist sich auch die Wahl, ein Fernsehteam als Hauptakteure agieren zu lassen, so dass es hier im Gegensatz zu anderen Filmen eben nicht so sehr verwundert, dass die Kamera auch angesichts des größten Chaos ungerührt weiter draufhält, statt sich in Sicherheit zu bringen – Pablo ist eben der wahre Held dieses Films, auch wenn wir von ihm nicht viel mehr zu sehen bekommen als seine Füße. Was am Ende dann doch ein wenig stört, ist die wenig überzeugende Auflösung des Films, bis zu diesem Zeitpunkt aber haben sich die Zuschauer bestens unterhalten – sofern sie Fans gut gemachter Horrorfilme sind, die auf recht intelligente Weise mit den Formen und Konventionen des Genres spielen. Eher zart besaiteten Kinogängern hingegen sei vom Besuch eher abgeraten – aber das versteht sich bei Horrorfilmen wie diesem sowieso von selbst.

Die beiden Regisseure Jaume Balagueró und Paco Plaza sind eingefleischten Genrefans ein Begriff, Ersterer hat bislang mit zwei Filmen (Darkness, 2002; Frágiles / Fragile - A Ghost Story, 2005) auf sich aufmerksam gemacht, während Plaza mit El Segundo Nombre (Second Name – Dein Name sei Tod, 2002), Romasanta (Romasanta – Auf den Spuren der Bestie, 2004) und Cuento de Navidad (Xmas Tale , 2006) von sich reden machte. Mit diesem Film dürften es beide wohl geschafft haben – in den USA arbeitet man bereits am Remake von [Rec], das dort den Namen Quarantine trägt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/rec