Tödliche Entscheidung (2007)

Die Macht des Schicksals

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

"May your glass be ever full. May the roof over your head be always strong. And may you be in heaven half an hour before the devil knows you're dead", so heißt es am Anfang von Sidney Lumets neuem Film Tödliche Entscheidung in Anlehnung an einen alten irischen Trinkspruch. So viel Glück wie in Irlands Pubs ist allerdings in diesem Werk des mittlerweile 83-jährigen Regisseurs niemandem beschieden. Denn die Gnade des Todes ereilt die irdischen Sünder, die hier gezeigt werden, zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Films, und manch einer überlebt zwar, doch angesichts des Ausmaßes der seelischen Verwüstung scheint der Tod die wahrlich bessere Option. Und die Hölle auf Erden haben sie bereits erlebt.

Am Anfang ist da eine Idee, die der Immobilien-Manager Andy (Philip Seymour Hoffman) hat, um sich aus den finanziellen Schwierigkeiten zu befreien, in denen er steckt. Der Rauschgiftsüchtige, der zur Finanzierung seiner Sucht in die Firmenkasse gegriffen und Gelder veruntreut hat, will mit seinem jüngeren Bruder Hank (Ethan Hawke) ein Juweliergeschäft ausrauben und so mit einem Schlag alle Schulden loswerden. Auch Hank kann die Kohle gut gebrauchen, ihn drücken die Unterhaltszahlungen für seine Tochter aus der gescheiterten Ehe mit Martha (Amy Ryan) ebenso wie die Hypothek auf der Wohnung. Außerdem hat er eine heimliche Affäre mit Andys Frau Gina (Marisa Tomei) und will diese endgültig für sich gewinnen. Doch als Hank erfährt, welcher Juwelier überfallen werden soll, packen ihn Skrupel – es ist der Laden ihrer Eltern Charles (Albert Finney) und Nanette (Rosemary Harris), auf den es sein älterer Bruder abgesehen hat. Natürlich wird dabei niemand zu Schaden kommen, so versichert Andy und weiß Hank zu überzeugen, immerhin kenne man sich im elterlichen Juweliergeschäft bestens aus, sei mit den Gegebenheiten vertraut und sowieso sei ja morgens nur eine Angestellte zugegen. Natürlich kommt alles anders.

Da Andy sich bei der Durchführung des Überfalls im Hintergrund hält und Hank sich den Coup nicht alleine zutraut, soll der Kleinganove Bobby (Brian F. O’Byrne) den Überfall durchziehen. Doch diesem versagen die Nerven, und er schießt die zufällig anwesende Nanette an, die ihrerseits geistesgegenwärtig den Räuber zur Strecke bringen kann. Hank, der am Steuer des Fluchtwagens vor der Tür wartet, flieht in heller Panik, ohne genau zu wissen, was innerhalb des Ladens geschehen ist. Nanette überlebt schwer verletzt, doch ihr Gehirn ist irreparabel geschädigt, so dass sich ihr Mann schweren Herzens dazu entschließen muss, die lebenserhaltenden Geräte abzuschalten. Beseelt von dem Wunsch nach Rache macht er sich auf die Suche nach den Hintermännern der Tat – nichts ahnend, dass es seine beide Söhne sind, die so viel Leid über ihn gebracht haben…

Obwohl Sidney Lumet, zweifelsohne einer der großen alten Regisseure Hollywoods, die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven und über weite Strecken nicht chronologisch erzählt, sondern zwischen den Figuren und Zeiten wild hin und her springt, gilt sein Hauptinteresse vor allem dem gescheiterten Yuppie Andy. Philip Seymour Hoffman spielt diese gebrochene Figur mit traumwandlerischer Sicherheit und Souveränität, gepaart mit der Fähigkeit zu wahren schauspielerischen Explosionen und zeigt abermals sein immenses Können, das ihn zu einem der besten Darsteller Hollywoods macht. Und es folgt beinahe der Logik der Story, dass einzig Albert Finney als Vater des missratenen Bruderpaares der puren Wucht Hoffmanns etwas entgegenzusetzen hat. Dass sich am Ende alles auf den Zweikampf Andy und sein Vater zuspitzt, liegt in der fein herausgearbeiteten Psychologie der Figuren: Stets stand der ältere und wenig ansehnliche Andy im Schatten seines kleinen und attraktiveren Bruders, stets musste er sich alles erkämpfen, während Hank alles wie von selbst zuflog. Dass Hank trotz dieser Bevorzugung nichts auf die Reihe bekommen hat, ist dabei von keinerlei Relevanz. Was zählt, sind alleine die Wunden, die dies in Andys Seelenleben hinterlassen hat. Und so ist es kein Wunder, dass er der Verführer ist, der den zynischen Plan ausheckt, einen symbolischen Mord an den Eltern, der schließlich ungewollt zumindest zum Teil schreckliche Realität wird.

Bei aller Düsternis vermeidet es Lumet, seine moralische Versuchsanordnung in dunkle Farben zu tauchen – im Gegenteil. Hell strahlt die Sonne und wirft ein grelles Licht und harte Schlagschatten auf das Geschehen; gerade so, als wohne man hier einem Experiment bei, das zwecks besserer Beobachtbarkeit von unerbittlichen Laborlampen ausgeleuchtet würde. In gewisser Weise erinnert manches an Tödliche Entscheidung / Before the Devil Knows You're Dead an den vielfach Oscar-prämierten No Country for Old Men: Die Unerbittlichkeit, mit der hier Prinzipien wie Gier, Schuld, Hass, Verrat und Rache als Grundbedingungen menschlichen Lebens verhandelt werden, die Ausweglosigkeit aus engen Bindungen, die in schlechten Zeiten unweigerlich jeden in den Abgrund mitreißen – das alles verbindet die beiden Werke miteinander. Doch während der Film der Coen-Brüder zumindest teilweise die Grausamkeit des Geschehens durch Skurrilitäten, Dialogwitz und humoristische Einlagen abzumildern weiß, schenkt uns Lumet diese Gnade nicht. Die Furcht vor dem Teufel, die sich in dem einleitenden Zitat und im Titel andeutet, sie ist nur insofern unbegründet, weil auch das irdische Leben die Hölle und der Tod eine Erlösung sein kann.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/toedliche-entscheidung-2007