Der fliegende Händler

Kaufmann wider Willen

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Sieht so ein erfolgreicher Händler aus? Einer, der eine alte Frau anblafft, dass sie gefälligst Kleingeld mitbringen soll? Nein, das kann nur ein Kaufmann wider Willen sein. Wenn es so einen auch noch in die ungeliebte Provinz verschlägt, dann wird bald klar, dass nichts bleibt, wie es war: Eine liebenswerte Komödie kann beginnen. Und eine Hommage ans Landleben.
Antoine (Nicolas Cazalé) ist ein allzeit mürrischer Zeitgenosse. Vor zehn Jahren von zu Hause abgehauen, lebt der inzwischen 30-Jährige immer noch zwischen unausgepackten Umzugskisten. Er ist immer noch auf der Suche nach einem Job, den er länger als drei Monate erträgt. Und er hat immer noch keine Idee, wie er seiner Nachbarin Claire (Clotilde Hesme) zeigen könnte, dass ihn mehr mit ihr verbindet als nur das Ausleihen eines Päckchen Kaffees.

Aber nun hat Antoines Vater einen Herzinfarkt erlitten. Die Hilfe des Sohnes ist gefragt, denn die Mutter kann den Lebensmittelladen mit angeschlossenem Lieferservice nicht alleine betreiben. Nach einigem Zögern kehrt Antoine für ein paar Monate in die südfranzösische Heimat zurück. Allerdings nur, weil Claire bereit ist, mitzukommen.

Natürlich wurden die familiären Verhältnisse nicht allein dadurch besser, dass man sich zehn Jahre aus dem Weg ging. Die Beziehung Antoines zu Vater und Bruder ist zerrüttet wie eh’ und je. Irgendwie scheinen alle, inklusive Mutter, in ihrer höchst persönlichen Sackgasse gefangen. Die lebensbejahende Claire wirkt da wie ein Katalysator, der die versteinerten Verhältnisse zu einem zaghaften Tänzchen bringt.

So eine Konstellation steht eigentlich unter Kitschverdacht, zumal sie nicht gerade selten in den Drehbüchern auftaucht. Doch Regisseur Eric Guirado erzählt die Geschichte in Der fliegende Händler / Le fils de l’épicier so, wie er auch seine Protagonisten zeichnet: wortkarg, geradlinig und ein wenig schroff. Hier werden keine Dramen ausgewalzt und Herzen ausgeschüttet. Hier macht die Kamera keine Umwege, sondern rückt nah ran an Menschen und Dinge. Hier wird ohne Schnörkel erzählt, mit Blick auf das Wesentliche. Hier finden die wichtigsten Veränderungen zwischen den Szenen statt. Und in den Landschaftsbildern, die spiegeln, was die Familienmitglieder kaum zu denken wagen.

Die südfranzösische Provinz mit ihrem blauen Himmel, mit ihren Hügeln und wildromantischen Tälern hat Eric Guirado in seinem zweiten langen Spielfilm nicht zum ersten Mal auf Zelluloid gebannt. Der Regisseur ist auf dem Land aufgewachsen und hat mehrere Dokumentarfilme über Menschen mit Wanderberufen in den Regionen Rhone-Alpes und Auvergne gedreht: Bäcker, Fotografen, Schiffer –Menschen, die einen Landstrich prägen. Auch in Der fliegende Händler / Le fils de l’épicier geht es nicht um die Kaufmannsfamilie allein. Es geht ebenso um die meist Alten in den Dörfern der Umgebung, die Antoine mit seinem rollenden Tante-Emma-Laden versorgt. Es geht um ihre Schrullen, ihre Nöte und ihre liebenswerten Seiten.

Auch Antoine erliegt nach und nach dem herben Charme der Dorfbewohner. So nimmt er schließlich nicht nur bereitwillig vier Eier gegen eine Dose Erbsen in Zahlung, sondern repariert auch noch das Fenster des Hühnerstalls. Spätestens dann wird klar: Aus dem Händler wider Willen ist ein Kaufmann mit Leib und Seele geworden.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-fliegende-haendler