Ulzhan - Das vergessene Licht

Die Weite Kasachstans

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Der Verlust der eigenen Familie ist sicher das Schlimmste, was einem im Leben passieren kann. In Volker Schlöndorffs neuem Road-Movie Ulzhan – Das vergessene Licht widerfährt dem Franzosen Charles (Philippe Torreton) dieses traurige Schicksal, er verliert Frau und Kinder bei einem Autounfall. Da er nun selbst keinen Sinn mehr im Leben sieht, macht er sich auf nach Kasachstan. Sein Ziel ist der heilige Berg Khan Tengri, wo sich einst die Schamanen in Ruhe zum Sterben zurückgezogen haben, und wo er selbst seinem Leben ein Ende setzen will.
Doch dann kommt alles anders. Während er durch das karge, weite Land geprägt von verlassenen Kolchosen, Ölfeldern und ärmlichen Dörfer zieht, trifft er auf die junge Nomadin Ulzhan (Ayanat Ksenbai), von der er ein Pferd kauft. Obwohl er die Einsamkeit sucht und allein weiter ziehen will, begleitet ihn die junge Lehrerin. Sie weiß nicht, warum er so verschlossen und zermürbt ist, aber spürt, dass er ihre Hilfe braucht. Charles will sie immer wieder loswerden, doch sie bleibt hartnäckig und bei ihm, bis er sein Ziel, den Heiligen Berg an der Grenze zu China erreicht hat. Im Gebirge angekommen, bittet Charles sie ein letztes Mal, ihn endgültig allein zu lassen. Sie lässt ihn zurück, aber bindet vorher noch sein Pferd an einen Felsen, in der Hoffnung, dass er wiederkommen wird.

Die zweite Person, die Charles immer wieder auf seiner Reise trifft, ist Shakuni (David Bennent), der mit seltenen Worten handelt. Er tauscht z.B. ein Sanskrit-Wort gegen Kamelmilch und Fleisch. Shakuni ist ein Geschichtenerzähler und Nomade, so schnell wie er auftaucht, verschwindet er auch wieder. Die karge Steppe ist seine Heimat, er lebt von der Hand in den Mund. Er behauptet Schamane zu sein, vollzieht religiöse Riten in den Dörfern. Es ist David Bennent, der den Shakuni verkörpert, der Schauspieler, der als kleiner Junge in Die Blechtrommel (1979) schon einmal vor der Kamera von Schlöndorff stand und seitdem das erste Mal wieder mit dem Regisseur gedreht hat.

Ulzhan – Das vergessene Licht ist ein Film über die Langsamkeit und die Leere des Lebens. Das leere, weite Land, das Charles durchquert, wirkt wie ein Spiegel seines Innenlebens. Er durchläuft es zu Fuß. Er will seinem Leben ein Ende setzen, er tut es nicht schnell, aber dafür zielgerichtet. Er will dort verschwinden, wo ihn keiner mehr treffen kann, wo er nur noch ganz bei sich ist. Diese Endzeitstimmung weiß Philippe Torreton genial zu verkörpern und auch die Schauplätze beeindrucken durch ihre Abgelegenheit und Aberwitzigkeit. So wirkt Astana, die Hauptstadt Kasachstans, geradezu gespenstisch mit ihren hohen vergoldeten Bauwerken inmitten der kargen Steppenlandschaft.

Noch bevor Schlöndorff bei uns als Regisseur bekannt wurde, assistierte er in den Sechziger Jahren großen französischen Filmemachern wie Louis Malle, Jean-Pierre Melville und Alain Resnais. In dieser Zeit schrieb er das Drehbuch zu seinem ersten Spielfilm Der junge Törless (1965), der auch zum ersten internationalen Erfolg des jungen deutschen Films wird. Es folgten viele große, erfolgreiche Filme, die längst zum Klassiker geworden sind, darunter Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1975), Die Blechtrommel (1979), für den er einen Oscar bekommen hat, und Die Stille nach dem Schuss (2000). Neben Werner Herzog, Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder galt Schlöndorff lange als einer der wichtigsten deutschen Regisseure. Die neue wildere Generation deutscher Filmemacher ist inzwischen nachgerückt, aber seine Filme sind immer noch sehenswert und was er macht, ist handwerklich perfekt. Schlöndorff ist an dem Punkt angekommen, an dem man nicht mehr viel falsch machen kann.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ulzhan-das-vergessene-licht