Comrades in Dreams - Leinwandfieber

Titanic in der Wüste

Eine Filmkritik von Monika Sandmann

Dokumentarfilmer Uli Gauke portraitiert vier Kinobesitzer und Filmvorführer fernab von aufgemotzten Multiplexen an abgelegenen Orten dieser Welt. Es sind seine "Comrades in Dreams": Ohne deren Engagement gäbe es in jenen abgeschiedenen Gegenden in Indien, Burkina Faso, Amerika und Nordkorea kein Kino.
So unterschiedlich ihr jeweiliges Programm ist, am Blockbuster Titanic kommt so leicht keiner vorbei. Die Reaktionen zum Film in den verschiedenen Ländern aber überraschen: Schlimm, wenn man sein Reiseziel nicht erreicht, beschreibt zum Beispiel ein alter Mann irgendwo im nirgendwo Burkina Fasos seine Gefühle, als er aus dem Open-Air Kino kommt. Betroffen sinniert er darüber, wie schlimm es für eine Familie sein muss, wenn ihre Angehörigen im Meer verschwinden. Die romantische Liebesgeschichte ist ihm wohl entgangen.

Dass der alte Mann diesen Film sehen konnte, haben drei Männer bewerkstelligt. Lassane und seine Mitstreiter Luc und Zakaria. Sie alle kommen aus Burkina Faso und leiten das heruntergekommene Open-Air Kino. Ohne ihre feschen Motorräder wären sie aufgeschmissen. Denn sie müssen in die weit entfernte Stadt, um ihre Filme zu besorgen. Ohne Feilschen läuft das nicht. Später werden die erhandelten Streifen sympathisch simpel und lautstark vom Motorrad aus beworben.

Am Abend versammeln sich vor dem Open-Air Kino eine Handvoll Leute, die am Kino mitverdienen möchten. Sie bauen ihre Tische auf und stapeln ihr Angebot. Getränke, Essen und mehr. Eine heitere, relaxte Stimmung. Der Kartenverkäufer beginnt mit seiner Arbeit. Ein paar Leute versuchen, umsonst hinein zu kommen. Der Kartenverkäufer handhabt das nach eigenem Ermessen. Einem kleinen Jungen empfiehlt er, mit seinen Freunden Geld zusammen zu legen, dann will er sie alle hinein lassen. Die anderen Jungs aber wollen nicht. Der Knirps schiebt traurig ab. Eine junge Frau macht dem Kartenverkäufer schöne Augen, er drückt seine zu und lässt sie hinein, ebenso den alten Mann, der in der Nähe des Kinos herumlungert. Nach dem Kino: Ein Mädchen hat Tränen in den Augen. Sie wünscht sich auch so eine große Liebe wie die zwischen Jack und Rose. Der alte Mann ist noch ganz verstört und sinniert über die Möglichkeit, was wäre, wenn er plötzlich im Kino verschwände?

Analog der Menschen in Burkina Faso, die Titanic gesehen haben, wirft der Regisseur Uli Gauke den westlichen Zuschauer in eine fremde, unglaubliche Welt. Man amüsiert sich über die vielen kleinen Begebenheiten. Aber gleichermaßen wird einem bewusst, dass das eigene, vermeintlich zivilisatorische Leben umgekehrt für genauso so viele Lacher sorgen könnte. Der Blick in die fremde Welt verweist damit gleichzeitig auf das eigene Dasein. Das Kino wird zum Spiegel der eigenen Befindlichkeiten.

Dass Kino mehr ist als nur eine Leinwand, auf der Filme gezeigt werden, macht Gaulke am Beispiel des kleinen Kinos "The Flick", irgendwo in Wyoming, deutlich. Penny Tefertiller hat es von ihrem Vater und der seinerzeit von seinem Vater übernommen. Trotz vieler Entbehrungen führt sie es bis heute mit Hilfe von Freunden weiter. Sonst müsste sie wohl auch das Familienerbe begraben.

Tefertillers Kino fungiert als sozialer Ort. Treffpunkt für Jugendliche ohne Job und Aussicht, Alte und Einsame, aber auch Familien und Kinder. Das soziale Gefüge funktioniert. Man kennt sich, man kümmert sich. Das Kino ist ihr zweites Wohnzimmer. Um Filme geht es nicht wirklich. Es gibt keine Werbung. Manche Besucher rufen im Kino an und erkundigen sich, welcher Film gerade läuft. Die meisten Leute aber kommen spontan. Heute wird Mr. and Mrs. Smith mit Angelina Jolie und Brad Pitt gezeigt. Ein Mann mittleren Alters vermutet, dass es um Eheprobleme geht. Vielleicht kann man lernen, wie man damit besser klarkommt, lacht er. Die Kartenverkäuferin klärt auf. Es wird viel geschossen – auch Mrs. Smith hat Waffen. Das gefällt dem Mann noch besser und er kauft eine Karte.

In Nordkorea verfolgt die Kinovorführerin Hang Jong Sil einen anderen Zweck. Sie zeigt ausschließlich Propagandafilme und erklärt mit missionarischem Eifer, warum sie ihr Programm ausgewählt hat. Sind die Ernten schlecht, zeigt sie Filme über Ganzjahresgemüse. Das soll die Landarbeiter wieder motivieren. Später offenbart sie verschämt ihren Jung-Mädchen-Traum, Schauspielerin zu werden. Statt dessen wurde sie Filmvorführerin, lacht sie und man merkt, dass sie noch immer gerne träumt.

Am vierten und letzten Schauplatz von Comrades in Dreams - Leinwandfieber, in Indien, hat Anup mit seinem Wanderkino boomenden Erfolg. Er weiß genau, was die Menschen anlockt. Filme aus Maharashtra, typische Bollywood-Ware. Ein Film wie Titanic dagegen, hat er klug erkannt, erreicht seine Landsleute nicht. Ein so großes Schiff können sie sich nicht vorstellen. Sie kennen nur die Wüste. Dass Menschen im Meer ertrinken, hat mit ihrem Leben nichts zu tun.

Filmemacher Uli Gauke beweist nach Heirate mich und Havanna mi amor wieder einmal seine Qualität, einfühlsam auf Menschen einzugehen. Liebevoll nähert er sich seinen Protagonisten an, baut Vertrauen auf, dass sie ihm mit großer Offenheit danken und ihr Innerstes offenbaren. Zum Beispiel wenn Hang Jong Sil ihren tiefen Wunsch nach einem Partner äußert oder sich der Inder Anup auf eine arrangierte Brautsuche begibt. Gaulke porträtiert die Menschen, ohne sie jemals bloßzustellen. Man lacht und amüsiert sich, dennoch ist man sich immer der großen Kraft und Energie der Portraitierten bewusst.

Leider hat der private Einblick ein Manko. Er sorgt mit zu vielen Details für Längen und verwässert die Thematik des Films. Doch alles in allem ist Comrades in Dreams - Leinwandfieber eine wunderschöne und gleichzeitig informative Meditation über die Liebe zum Film.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/comrades-in-dreams-leinwandfieber