La Fine del Mare

Schmuggelware Mensch

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Schon im Namen der Stadt, in der La Fine del Mare spielt, was soviel wie das Ende des Meeres heißt, scheint die Trostlosigkeit des Ortes zu stecken: Triest ist eine graue norditalienische Hafenstadt an der Grenze zu Slowenien. Der Serbe Todor (Miki Manojlović, zuletzt in Sam Garbarskis Irina Palm als Chef eines Sex-Clubs zu sehen) hält sich mit kleinen Schmuggelgeschäften über Wasser, harmlose Ware, meist Zigaretten. Er lebt allein in einer ziemlich armseligen Behausung, seine Frau ist vor ein paar Jahren an Krebs gestorben. Bei einer seiner Schmuggelfahrten auf dem Meer wird ihm eine große Holzkiste übergeben. In der Kiste findet er eine bewusstlose junge Frau: menschliche Schmuggelware, offenbar für den Markt der verkauften Körper bestimmt. Eine verstörte junge Frau, die seit Jahren auf der Flucht ist, längst ihre Identität und das Vertrauen zu anderen Menschen verloren hat. Todor behält sie bei sich, peppelt sie auf, versteckt sie – bis er eines Tages bitter dafür büßen muss.
Nora Hoppes zweiter Spielfilm nach The Crossing (1999) erzählt die zufällige Begegnung zweier einsamer Menschen, die in der Fremde leben, die vor ihrer Vergangenheit flüchten und sich vor emotionalen Bindungen fürchten. Das "Ende des Meeres" ist für die in New York geborene Filmemacherin eine Illusion, so wie man einmal geglaubt hat, dass die Welt am Horizont endet. Aber unter dem Sichtbaren ist oft eine andere Wahrheit verborgen – wie die Wünsche und Sehnsüchte, die wir nicht nur vor Anderen, sondern auch uns selbst verbergen. Todor und Nilofar, so der Name der Frau aus der Kiste, (Diana Dobreva) haben es sich nicht ausgesucht, miteinander Zeit zu verbringen, beide sind sie voneinander abhängig und das bringt Emotionen und Sehnsüchte hervor, die sonst in ihnen verborgen geblieben wären.

La Fine del Mare ist ein sehr dunkler Film mit sehr langen, ruhigen Einstellungen, wundervoll eingefangen von Kameramann Rimvydas Leipus, von dem übrigens demnächst ein weiterer Film bei uns im Kino zu sehen ist: Khadak von Peter Brosens & Jessica Woodworth. Die Schauplätze sind auf einige wenige Wesentliche begrenzt: das Meer, die Wohnung Todors, seine Stammkneipe, eine verlassene Fabrik, in der er Nilofar mit Hilfe eines blinden Freundes versteckt. Die trostlosen Orte erinnern ein bisschen an die Filme der Brüder Dardenne und hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack. Vieles wird nur angerissen. Der Zuschauer ist aufgefordert, die Lücken selbst zu füllen. Diese Leere symbolisiert sicher auch die emotionale Leere der Figuren und die Geheimnisse, die sie in sich tragen.

La Fine del Mare ist kein Film über Schlepperbanden und Menschenhandel. Das hat sich bereits in der Vergangenheit und im Hintergrund der Geschichte abgespielt. Der Film zeigt eher, was passiert, wenn die "Ware Mensch" jemandem geliefert wird, für den sie eigentlich nicht bestimmt ist. Und wie das das Schicksal zweier Fremder beeinflusst. Dass was uns Marco Kreuzpainter in Trade – Willkommen in Amerika vor Augen geführt hat, ist in diesem Film längst passiert. Wir sehen keine Menschenhändler, keine Prostitution, keine Internet-Auktionen, aber wir können ahnen, dass die Frau all das schon erlebt hat bzw. noch hätte durchmachen müssen, wenn sie nicht in Hände von Todor gefallen wäre. Was wir allerdings sehen, ist bitter und verstörend genug.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/la-fine-del-mare