Brügge sehen... und sterben? (2008)

Eine Frage der Ehre

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Für den einen ist ein Märchenland, für den anderen schlicht ein Scheißkaff und für den dritten eine ferne Kindheitserinnerung. Brügge, die Perle Flanderns und wohl eine der schönsten Städte Europas, polarisiert die drei Gangster, die sich hier inmitten von malerischen Gässchen, pittoresken Brücken und Kanälen einen beinharten Kampf um die Ehre – oder das, was sie dafür halten – liefern. Da sind zum einen der hitzköpfige irische Frischling Ray (Colin Farrell) und sein wesentlich älterer Partner Ken (Brendan Gleeson), beide ihres Zeichens Auftragskiller. Und zum anderen gibt es noch deren Chef Harry (Ralph Fiennes), der die beiden nach einem missglückten Auftrag, in dessen Verlauf Ray aus Versehen ein Kind getötet hat, auf eine Reise nach Belgien schickt. Dort sollen die beiden warten, bis sich der Wirbel um den Mord gelegt hat, und die weiteren telefonischen Anweisungen ihres Bosses abwarten.

Während Ken sich voller Begeisterung in das malerische Städtchen stürzt und sein winterliches Märchenland für sich entdeckt, ist Ray genervt und findet erst Gefallen an Brügge, als er der attraktiven Belgierin Chloë (Clémence Poésy) begegnet. Nun sitzt Ray vollkommen zwischen den Stühlen – einerseits ist er kurz davor sich zu verlieben, andererseits macht er sich wegen des versehentlichen Mordes an dem Jungen in London schwere Vorwürfe und äußert mehr als einmal Selbstmordabsichten. Doch er ist nicht der einzige, der in der Klemme sitzt:

Als Harry endlich anruft, erteilt er Ken den Auftrag, Ray zu beseitigen. Doch statt den Anweisungen seines Chefs Folge zu leisten, drückt der müde und in die Jahre gekommene Killer nicht nur nicht ab, sondern verhindert in buchstäblich letzter Sekunde auch, dass Ray sich selbst das Lebenslichtlein ausknipst. Nun stecken sie beide in ernsthaften Schwierigkeiten, denn bei aller Kunstsinnigkeit und Liebe zu Brügge kann Harry diese Illoyalität nicht auf sich beruhen lassen und macht sich persönlich auf den Weg, um die Sache in Brügge wieder in Ordnung zu bringen…

Brügge sehen … und sterben? / In Bruges ist eine nur auf den ersten Blick wilde Mixtur aus Buddy-Movie, schwarzer Komödie und einem lupenreinen Gangsterdrama, bei dem sich wieder einmal die Frage der Ganovenehre als zentrales Motiv erweist, das die Handlung vorantreibt. Der Regiedebütant Martin McDonagh – wie Ray ist auch er Ire – erweist sich als gewitzer Jongleur mit verschiedenen Stilelementen und so fügen sich all die Reminiszensen und Zitate, die von Orson Welles’ Im Zeichen des Bösen / A Touch of Evil über Carol Reeds Der Dritte Mann / The Third Man bis hin zu Fellinis grellen Fantasien reichen, aufs Beste zusammen. Der Film erstickt niemals an der Fülle seiner Andeutungen und lässt nebenbei noch Platz für hinreißende kleine humoristische Seitenhiebe auf fettleibige amerikanische Touristen und rassistische Liliputaner.

Der eigentlich längst zum Stereotyp gewordenen Figur des Auftragskillers versteht es das ungleiche Paar Brendan Gleeson und Colin Farrell jedenfalls neue Nuancen und Schattierungen abzugewinnen, die vor allem an John Cusack in Grosse Point Blank (USA 1997, George Armitage) oder Andy Garcia in Das Leben nach dem Tod in Denver / Things to do in Denver, when you’re dead (USA 1995, Gary Fleder) erinnern – nur eben vorangetrieben durch eine ungewöhnliche Paarkonstellation. Da stört es auch kaum, dass Clémence Poésys Rolle zu klein ausfällt und Ralph Fiennes als Gangsterboss etwas blass bleibt.

Sowieso ist der heimliche Star dieses beachtlichen Films die Stadt Brügge selbst, die sich in all ihrer winterlichen Pracht präsentiert und die definitiv eine Reise wert ist. Denn manchmal kann man in Brügge nicht nur die Liebe oder den Tod finden – oder beides – sondern einfach nur ein wenig Ruhe, Stille und Frieden.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/bruegge-sehen-und-sterben-2008