The Dark Knight (2008)

Die zwei Seiten der Medaille

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Bereits vor seinem aktuellen Deutschlandstart hatte das neueste Leinwandabenteuer um Batman für ein riesiges Medienecho und extrem hohe Erwartungen auf beiden Seiten gesorgt: Zum einen waren da natürlich die Fans, die sich einiges erhoffen – zumal Christopher Nolan bereits mit Batman Begins der Geschichte einen neuen Dreh verpasst hatte. Auf der anderen Seite waren da auch die Kinobetreiber, die aufgrund der sensationellen Einspielergebnisse in den USA (Boxoffice Mojo vermeldet Kinoeinnahmen in Höhe von mehr als 473 Mio. $, damit rangierte The Dark Knight bereits jetzt an zweiter Stelle der erfolgreichsten Filme aller Zeiten, hinter James Camerons Titanic) ähnlich sensationelle Zahlen für Deutschland erwarteten. Der schwächelnden Filmtheaterbranche hierzulande kam das gerade zupass, denn nach sensationellem Start im ersten Quartal des Jahres folgte im zweiten Quartal das bittere Erwachen mit herben Umsatzeinbußen.

Im neusten Abenteuer des geflügelten Helden wird Batman (Christian Bale) von seinem Widersacher Joker (Heath Ledger) zunehmend in die Defensive gedrängt. Um die Gelder der Mafia vor dem Zugriff der Behörden zu schützen, beschließt der Joker gemeinsam mit der Mafia, Batman auszuschalten. Und da Batman direkt nur sehr schwer zu treffen ist, wählt der Joker den indirekten Weg und tötet nacheinander Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, bis Batman endlich seine wahre Identität offenbart. Unter dem Druck der sich überstürzenden Ereignisse wendet sich die öffentliche Stimmung zunehmend gegen den einstigen Superhelden.

Unterstützung in seinem Kampf gegen seinen Erzfeind und die Mafia erhält der Beschützer Gothams vom neuen Bezirksstaatsanwalt Harvey Dent (Aaron Eckhart), der alles daran setzt, gemeinsam mit dem Leiter der Spezialeinheit, Lieutenant Jim Gordon (Gary Oldman) die Strukturen des organisierten Verbrechens zu zerschlagen. Des Kämpfens müde sieht Batman in Harvey Dent einen Hoffnungsträger für die Zukunft Gothams und hofft darauf, den Fledermaus-Anzug vielleicht doch an den Nagel hängen zu können. Für ihn ist Dent sein Alter Ego, ein "weißer Ritter". Doch der Joker lässt Batman nicht zur Ruhe kommen, denn er weiß um Batmans empfindlichste Stelle – Rachel Dawes (Maggie Gyllenhaal), die seit der Trennung von Bruce Wayne die Frau an Harvey Dents Seite ist.

Was bietet nun der neue Batman-Film The Dark Knight? Natürlich jede Menge Action, zum Teil – und das ist ein Novum – mit IMAX-Kameras gefilmt und visuell vorzüglich in Szene gesetzt. Beeindruckend und ohne Fehl und Tadel sind erwartungsgemäß auch die Ausstattung und die Schauplätze, die den dunklen Ritter zum ersten Mal über die Grenzen Gothams hinaus bis nach Hongkong führen. Statt in Wayne Manor, das bei Batman Begins ein Raub der Flammen wurde, residiert Bruce Wayne nun in einem reduziert eingerichteten Penthouse hoch über der Stadt. Ähnlich ausgetüftelt wie die Inszenierung präsentiert sich auch der Cast des Films, der bis in die zweite und dritte Reihe mit tollen Schauspielern besetzt ist: Neben dem gewohnt kühl agierenden Christian Bale als Bruce Wayne sind vor allem Aaron Eckhart als ehrgeiziger Staatsanwalt Harvey Dent und Gary Oldman als Lieutentant Jim Gordon sowie Maggie Gyllenhaal als Rachel Dawes, Sir Michael Caine Waynes als getreuer Diener Alfred und Morgan Freeman als Lucius Fox gut besetzt und liefern eine erstklassige Vorstellung ab, die den Figuren bis in die kleinste Nebenrolle Charakter und Ausdrucksstärke verleihen.

Die eigentliche Sensation des Films aber ist Heath Ledger in seiner letzten Rolle – der Schauspieler verstarb kurz nach dem Ende der Dreharbeiten und zwang den Regisseur bei der Postproduktion zu einer Art filmischen Todeswache im Schneideraum. Gut möglich, dass das tragische Ereignis dem Film am Schneidetisch noch eine andere Wendung gab. Ledgers Interpretation der enigmatischen Figur ist meilenweit entfernt von dem reichlich verspielten und letzten Endes sehr albernen Bösewicht, den einst Jack Nicholson zum besten gab: Sein Joker ist kaputter, existenzieller, dunkler und vielschichtiger – kein Popanz, sondern ein trauriger Clown, dessen Furor aus reiner Lust an der Zerstörung die Welt in Stücke zu reißen droht. Der Joker als die Verkörperung des Irrationalen und Destruktiven in der Welt und in jedem Menschen hält wie der mittelalterliche Narr der Gesellschaft einen Spiegel vor und zeigt uns das ganze Ausmaß von Korruption, Verderbtheit und dem Bösen, das aus der Leere heraus entsteht.

Auch Batman kann sich dieser alles negierenden Wucht nicht entziehen, mehr noch: Die Kraft des Bösen und ihre chaotische Unberechenbarkeit führt ihn an die Grenzen der eigenen Prinzipien, der eigenen Moral und darüber hinaus. Denn wenn das Böse keine Regeln mehr kennt, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Man streckt die Waffen oder nimmt ebenfalls Abschied von den eigenen hehren Idealen. „Entweder stirbt man als Held oder man lebt lange genug, um Bösewicht zu werden“, so heißt es mehrmals im Film. Was nichts anderes bedeutet, als dass das Böse in jedem schlummert – es ist nur eine Frage der Zeit, bis es sich zeigt. Und dies gilt nicht nur für Batman, sondern ebenso für Harvey Dent, der im Laufe des Films immer mehr zu einer im wahrsten Sinne des Wortes doppelgesichtigen und höchst ambivalenten Person wird. Es hat eben alles seine zwei Seiten, und manchmal ist es der reine Zufall eines Münzwurfs, der über Gut und Böse, Leben und Tod entscheidet.

Letzten Endes ist das Leben ein Spiel, und es bedarf, wie der Joker es in der finalen Konfrontation erklärt, immer eines Gegenspielers, um sich der eigenen Rolle zu versichern und das Spiel am Laufen zu halten. Batman wäre nichts ohne den Joker. Und der wäre nichts ohne Batman. So sehr sie sich auch hassen, sie sind aufeinander angewiesen. Und dieses Spiel, der Kampf zwischen Gut und Böse, wird wohl ewig andauern und niemals zu Ende gehen – eine Sisyphosarbeit ohne Aussicht auf Erlösung.

In keinem Batman-Film zuvor waren sich das Gute und das Böse so nah, so ineinander verschlungen wie in diesem Film, der furiose Actionsequenzen mit hoch interessanten Fragestellungen zu Recht und Moral, Wahrheit und Lüge, Zufall, Chaos und den Ordnungsprinzipien des Lebens verknüpft. Und genau das macht aus diesem Abenteuer des Mannes mit dem Fledermaus-Kostüm wirklich großes Popcorn-Kino: Mühelos reißt er die Grenzen zwischen actionreichem und grandios ausgestattetem Blockbuster-Kino und Werken mit existenziellen Fragenstellungen nieder, mit einer Wucht, wie dies vielleicht zum letzten Mal im ersten Teil der Matrix-Trilogie zu sehen war. Immer wieder schafft es Nolan quasi im Vorübergehen, Reflektionen über das Wesen des Terrors und Erinnerungen an 9/11 einzustreuen und anhand seiner verschiedenen Figuren zu untersuchen, wie dieser Schock das Leben und das Denken und Handeln der Menschen bestimmt hat.

Unter Nolans Regie hat die Kunstfigur Batman sich endgültig verabschiedet vom (unterstellten infantilen) Stallgeruch eines Comics und ist aufgestiegen in den Olymp der großen Mythen und Märchen, der Metaerzählungen der Gegenwart. Denn Nolan hat es geschafft, die Formeln des Actionkinos zu unterwandern, ohne sie zu verraten und für sich und seine Intentionen zu nutzen. Das ist wirklich ganz großes Kino, auch wenn der Film manchen Actionfan ob seiner philosophischen Wendungen und Haken erschrecken dürfte und manche Längen doch deutlich spürbar sind. Am Ende aber überwiegt das Gefühl, dass The Dark Knight auch über zweieinhalb Stunden Unterhaltung hinaus noch nachwirkt und zum Weiterdenken anregt – wann kann man das schon einmal von einem Blockbuster diesen Formats sagen? Nolan jedenfalls reiht sich spätestens mit diesem Film in die Riege exzellenter Hollywood-Regisseure ein, die keine beliebige Dutzendware abliefern, sondern die es verstehen, selbst Blockbustern ihren unverkennbaren Stempel aufzudrücken.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-dark-knight-2008