Die Welle (2008)

Wasserball und Faschismus

Eine Filmkritik von Gesine Grassel

Trotz der Ergebnisse von Pisa-Studie & Co. sind deutsche Schüler gut informiert. Zumindest, wenn es um die deutsche Vergangenheit geht. Die Aufarbeitung der NS-Zeit steht in den weiterführenden Schulen mindestens einmal pro Schuljahr auf dem Lehrplan. Das Dritte Reich und die Verbrechen der Nationalsozialisten werden als historische Ereignisse und mit einem gehörigen Sicherheitsabstand betrachtet. Kein Wunder also, dass sich der Faschismus so weit von der Realität entfernt anfühlt, dass die Mehrheit der nach 1980 Geborenen der Meinung ist, eine Diktatur wäre heute in Deutschland nicht mehr möglich.

Dass sich solche Zustände trotz aller Aufgeklärtheit jederzeit wiederholen können, bewies schon 1967 ein engagierter Lehrer in einer kalifornischen High School. Ron Jones initiierte in seinem Geschichtsunterricht die Bewegung Third Wave, bei der Schüler Rollen und Aufgaben zugeteilt bekamen, Verhaltensregeln aufgestellt wurden und sich die Gruppenmitglieder gegen alle Außenstehenden verschworen. Jones brach das Experiment nach fünf Tagen ab, als sich die Bewegung verselbständigte und die Schüler mit Gewalt gegen Andersdenkende vorgingen. Die Leichtigkeit, mit der sich die Schüler manipulieren ließen, gipfelte in einem direkten Vergleich mit Jugendorganisationen im Dritten Reich. 1984 erschien der von Morton Rhue verfasste Klassiker Die Welle, in der die Ereignisse aus Kalifornien beschrieben werden. Mittlerweile gehört auch das Buch zum Pflicht-Repertoire deutscher Schüler.

Wer Die Welle nicht lesen möchte, kann sich die Geschichte jetzt im Kino angucken: als Geschichtsaufarbeitung mit vielen bunten Bildern, Stereotypen und Klischees. Jürgen Vogel ist Rainer Wenger, ein Gymnasiallehrer mit Hausbesetzer-Vergangenheit und Idealen fernab klassischer Zuchtmeister-Traditionen. Während einer Projektwoche zum Thema Autokratie will er seinen Schülern die Entstehung einer Diktatur veranschaulichen. Statt Sport und Politik gibt es Diktatur "reloaded". Innerhalb weniger Tage gerät die Bewegung außer Kontrolle. Als Wenger versucht das Experiment abzubrechen, ist es längst zu spät.

Regisseur Dennis Gansel, der schon mit NAPOLA einen Blick ins (damals vergangene) deutsche Schulsystem warf, erzählt die wahre Begebenheit an einem Gymnasium der Gegenwart. Dem prominent besetzten Lehrer-Ensemble (großartig verkörpert von Jürgen Vogel, Christiane Paul und Maren Kroymann) steht eine nicht minder bekannte und aufstrebende Clique deutscher Nachwuchsdarsteller gegenüber: Frederick Lau als zentraler Dreh- und Angelpunkt des Projektes, der wie schon in Der Freischwimmer den erschreckend normal wirkenden Psychopaten spielt; Max Riemelt als muskelbepackter Mädchenschwarm aus armem Hause; Jennifer Ulrich als erfrischender Spross antiautoritäter Eltern; oder Maximilian Mauff, der als geschniegelter Unternehmersohn erneut seine Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellt.

Die Welle ist nett anzusehen, aber genau daran liegt das Problem des Filmes für eine breite Zielgruppe. Wer das Buch gelesen und den 20. Geburtstag hinter sich gebracht hat, wird sich kaum fangen lassen von einem modernen Teenie-Film, der zwar eine politische Idee vermittelt, aber häufig an Gansels Mädchen Mädchen erinnert. Zu sehr sind Geschichte und Bilder auf das Jahr 2007 gedrillt: Es geht um Graffiti und Tags, Newsletter und Modemarken, MySpace, Skype und Eminem. Für Jugendliche im Mikrokosmos Schule ist Die Welle die Übertragung des Buches in die Neuzeit, für alle jenseits dieser Sphäre eine durchgestylte und in Ansätzen überdrehte Schmalspurvariante des Buches. Dennoch ist dem Film zu wünschen, dass er von möglichst vielen Schülern gesehen und vor allem verstanden wird. Denn eines kann Die Welle glaubhaft vermitteln: Der Nährboden für Diktaturen ist, auch 63 Jahre nach Kriegsende, noch immer vorhanden.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-welle-2008