Eisenfresser

Die Hölle auf Erden

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wenn Ozeanriesen in die Jahre gekommen sind und nach rund 25 Jahren ausgemustert werden, landen die Passagier- und Frachtschiffe auf Schiffsfriedhöfen und Abwrackhäfen, wo sie in ihre Einzelteile zerlegt werden. Früher geschah dies vor allem in den USA und in Europa, doch mit der Globalisierung hat sich der Schwerpunkt des Geschäfts nach Asien verschoben, wo die Löhne für die harte Arbeit wesentlich günstiger sind und es an hungrigen, also willigen Arbeitern nicht mangelt, die die gefährliche Schwerstarbeit verrichten. "Lohakhor" werden die Arbeiter in der Landessprache genannt, was soviel wie "Eisenfresser" heißt. Und schon der Spitzname verdeutlicht, wie wenig diese Männer und Kinder gelten, die meist aus den ländlichen Gebieten des Nordens kommen und die von den vermeintlich guten Jobs der Schiffswerften angezogen werden. Daheim haben sie noch weniger, die spärlichen Erträge aus der Landwirtschaft reichen kaum aus, um den eigenen Lebensunterhalt zu sichern, Armut und Hunger sind in Bangladesh an der Tagesordnung – vor allem dann, wenn weite Landstriche durch verheerende Überschwemmungen verwüstet sind.
Während es in anderen Ländern längst erhebliche Sicherheits- und Umweltauflagen gibt, herrscht in Bangladesh, wo heute 60 Prozent des Abwrackgeschäfts über die Bühne gehen, ein unvorstellbares System der Ausbeutung, in dem Arbeiter systematisch geschunden, giftigen Materialien ausgesetzt und um ihren spärlichen Lohn gebracht werden. Besonders perfide ist daran, dass die nichtsahnenden Arbeiter ausschließlich in werkseigenen Unterkünften schlafen und sich in zum Betrieb gehörenden Lebensmittelmärkten eindecken dürfen, was ihnen vom (häufig genug nicht ausgezahlten) Lohn abgezogen wird – mit dem Ergebnis, dass viele von ihnen mit enormen Schulden wieder nach Hause zurückkehren.

Der in Bangladesh geborene Filmemacher Shaheen Dill-Riaz, der in Dhaka, ganz in der Nähe des größten Abwrackhafens des Landes in Chittagong geboren wurde und dort aufwuchs, hat vier Monaten lang teils unter strengen Auflagen die knochenharte Arbeit der "Shipbreaker" gefilmt. In Eisenfresser zeichnet er ein erschreckendes Bild des Arbeitslebens, das verdeutlicht, dass gerade in Zeiten der Globalisierung Ausbeutung und schamlos ausgenutzte Abhängigkeiten nach wie vor an der Tagesordnung sind. Denn im Wettlauf um Marktanteile und im Kampf gegen die Konkurrenz aus Indien und China sind alle Mittel erlaubt, und die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen werden von der Regierung des Landes stillschweigend gedeckt. Erlaubt ist, was Profit macht und die eigene Wirtschaftsmacht stärkt. Das Geschäft um die ausrangierten Schiffsriesen ist längst zu einem brutalen Krieg geworden, der täglich seine Opfer fordert.

Es sind gespenstische Bilder, die der Filmemacher auf der Werft mit dem zynisch anmutenden Namen "Friede, Glück und Wohlstand" (Peace, Happiness und Prosperity) einfangen hat. Wie gestrandete Urzeitungetüme wirken die Schiffe, denen die Arbeiter – einer gewaltigen Armee von Ameisen gleichend – mit bloßen Händen, mit Schneidbrennern, Lötkolben, Vorschlaghämmern, Brechstangen und Stahlseilen auf den rostigen Leib rücken. Geschickt versteht es Shaheen Dill-Riaz, aus dieser Masse Einzelschicksale wie das von Kholilur und vielen anderen herauszugreifen und so der Ausbeutung ein menschliches Gesicht zu geben. Vergessen kann man das, was man in diesem großartigen und exzellent gedrehten Film gesehen hat, nicht mehr. Wenn es eine Hölle auf Erden gibt, dann ist Chittagong mit Sicherheit der Ort, der Unrecht und Ausbeutung, also die Kehrseite der Globalisierung mit am besten versinnbildlicht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/eisenfresser