Das Massaker von Katyn

Eine überlebensgroße Geschichtsstunde

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das Massaker von Katyn, begangen im Frühjahr 1940 an mehr als 20.000 polnischen Offizieren und Intellektuellen durch die sowjetische Armee zeigt exemplarisch den schwierigen Verlauf der wechselvollen Geschichte des Landes und ist ein Synonym für jahrzehntelange Ausbeutung, Unterdrückung und Manipulation der Öffentlichkeit. Als 1943 deutsche Truppen die Massengräber entdeckten, wurde das Massaker eilig zu Propagandazwecken missbraucht, mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der sowjetischen Besatzung sowie der folgenden Herrschaft der kommunistischen Partei wurde das Erinnern zurückgedrängt, die Wahrheit über Katyn durfte nicht mehr gesagt werden, selbst die Nennung des Ortsnamens konnte bereits schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Für Andrzej Wajda ist Das Massaker von Katyn aber auch eine ganz persönliche Angelegenheit, denn sein Vater gehörte ebenfalls zu den 22.000 Opfern, die in den Wäldern von Katyn den Tod fanden.
Der Film beginnt im September des Jahres 1939: Auf einer Brücke drängen sich die Menschen, endlose Scharen flüchten vor den deutschen Truppen, die Polen überrollt haben. Doch auf der Brücke kommen ihnen Menschen aus der anderen Richtung entgegen, denn auch die Sowjets haben Polen überfallen und rücken nun von Osten her vor - das geheime Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts macht es möglich. Familien werden auseinander gerissen, Offiziere und Intellektuelle verhaftet und in Lager gesteckt, wo sie auf ihr ungewisses Schicksal warten.

Wajda zeigt das Warten der Familien und die Gespräche der Soldaten, dann kurz vor dem Massaker springt er unvermutet in der Geschichte vor, spart die eigentlichen Geschehnisse aus und befasst sich stattdessen mit den Ereignissen des Jahres 1943, als die Gräber von deutschen Truppen entdeckt werden, um anschließend die Unterdrückung der Wahrheit nach dem Kriegsende sowie den Kampf der Familien um Aufdeckung der Wahrheit exemplarisch am Beispiel des polnischen Offiziers Andrzej, seiner Frau Anna und seiner Tochter Nika sowie deren Freunden und Verwandten zu schildern. Die Hinrichtungen, mit der stupiden Mechanik einer ausgetüftelten Todesmaschinerie durchgeführt, folgen erst ganz am Ende des Films in einer langen, quälenden Rückblende.

Das Massaker von Katyn ist ohne Zweifel ein wichtiger Film, weil er ein wichtiges Thema behandelt. Allerdings ist er - und auch das muss gesagt werden - kein guter Film: Zu verworren das Drehbuch, zu dröhnend-pathetisch die Inszenierung, zu demonstrativ die erzählerische Geste, mit der hier immer wieder gezeigt und hingewiesen wird. Dazu wallt die Nebelmaschine auf Hochtouren und Schauspieler deklamieren wie im Theater mit weit ausholenden Bewegungen und Sätzen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Dazu kommen Details wie sowjetische Soldaten, die die polnischen Flaggen so zerreißen, dass nur noch der rote Streifen übrig bleibt, mit dem weißen Teil putzen sie sich demonstrativ die Stiefel. Oder ein Theaterplakat für Antigone, wenn eine junge Frau für die Ehre der Toten und die Aufdeckung der Wahrheit im Nachkriegspolen kämpft. Oder eine Christus-Figur, die gleich einem Toten mit einem Mantel zugedeckt neben den Ermordeten liegt. All dies sind schwere, manchmal auch schwerfällige Metaphern, die der Film nicht nötig gehabt hätte. Aber vielleicht ist das so, wenn die Erinnerung und Aufarbeitung jahrzehntelang nicht stattfand, nicht stattfinden konnte - mit der Zeit werden die unterdrückten Bilder immer größer, immer aufgeladener. Und zurückhalten lassen sie sich auf Dauer nicht. Andrzej Wajda hat sie - stellvertretend für seine Landsleute - allesamt in einem bewegenden, streckenweise aber unangenehm belehrenden Film auf die Leinwand losgelassen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/das-massaker-von-katyn