Der Rote Baron (2008)

Zwischen Größenwahn und Bodenhaftung

Eine Filmkritik von Peter Gutting

„Ich will doch nur spielen“ – so könnte man die Lebenseinstellung eines der größten Helden der deutschen Luftwaffe umreißen. Aber das Spiel ist ein Kriegs-Spiel. Und das macht aus dem Geschichtsdrama um das Flieger-Ass Baron Manfred Freiherr von Richthofen einen wuchtigen Film zwischen Größenwahn und Bruchlandung.

Nichts gegen das Spielen. Vor allem nicht im Kino, wo das Probehandeln per Identifikation mit dem Helden ja Programm ist. Und wo es den größten Teil des Vergnügens ausmacht, dass alles am Ende ohne reale Konsequenzen bleibt. Die Filmfigur des Manfred von Richthofen, genannt der „rote Baron“ wegen seiner rot angestrichenen Maschine, möchte etwas Ähnliches: Krieg führen als eine Art Sport, als fairen Wettstreit unter Gegnern nach humanen Regeln, ohne sinnloses, hasserfülltes, mörderisches Abschlachten. „Unser Ziel ist es Flieger abzuschießen, keine Piloten“, trichtert der „Baron“ seinen Schützlingen ein. Ob die reale Person wirklich so naiv war, mag man bezweifeln. Aber eine hervorragende Figur für großes Kino gibt so einer allemal ab: die Geschichte von einem, der auszog, seine Jungenhaftigkeit dem realen Leben auszusetzen. Schließlich ist der publikumswirksame Film eine der aufwendigsten und teuersten deutschen Produktionen.

Es geht um die letzten beiden Jahre des Ersten Weltkriegs. Manfred von Richthofen (Matthias Schweighöfer) ist mit nur 24 Jahren das größte Talent der deutschen Luftwaffe. Mit jedem Abschuss wächst sein Ruhm. Er wird überhäuft mit Orden, eilt von Beförderung zu Beförderung. Die Truppe braucht einen wie ihn, einen „Gott“, der die Moral stärkt und den Nimbus der Unbesiegbarkeit verbreitet. Der „Baron“ kann es sich deshalb leisten, sogar dem Kaiser zu widersprechen. Immer wollte er der Beste sein, nun scheint er es geschafft zu haben. Nur die realitätstüchtige Krankenschwester Käte (Lena Headey), seine ebenso schwierige wie herzzerreißende Liebe, stutzt dem Herren der Lüfte die Flügel.

Den Krieg am Himmel der Jahre 1916 bis 1918 kann man nicht vergleichen mit dem scheinbar anonymen, weitgehend automatisierten Hightech-Bombenterror der beiden Irak-Kriege. Die Doppel- und Dreidecker des Ersten Weltkriegs sind offen, den Piloten weht der Wind um die Ohren. Es ist ein Kampf Mann gegen Mann, bei dem es nicht darum geht, Bomben abzuwerfen, sondern die gegnerischen Maschinen mit Gewehrfeuer vom Himmel zu holen. Geschossen wird erst, wenn man 50 Meter am anderen dran ist, so lehrt es Richthofen seinen jungen Leuten.

Dementsprechend sehen die Kampfszenen in Der Rote Baron zeitweilig aus wie Autorennen in der Luft. Den nachgebauten Maschinen ohne Motor, die per Computeranimation fliegen „lernten“, sieht man zwar den künstlichen Ursprung ihrer Bewegungen nicht an. Doch sie sind in anderer Weise unrealistisch. Regisseur Nikolai Müllerschön hat sie ganz aus der Innenperspektive von Richthofens drehen lassen. So erscheinen sie wie ein (Computer)Spiel: Flugzeuge in choreographiert anmutenden Formationen, ständiges Auf und Ab, wundersame Loopings und Sturzflüge, alles leicht und frei wie ein Vogel auf der Jagd. „Hat Spaß gemacht“, sagt Richthofen einmal zu seinem Kumpel Werner Voss (Til Schweiger). Da steigen die beiden ein wenig abgekämpft aus ihren Maschinen und sehen aus, als kämen sie von einem Fußballmatch. Redlich müde, ein bisschen verschmiert, aber glücklich, sich einmal wieder so richtig ausgetobt zu haben.

Verstehen kann man diese abgehobene, realitätsferne Haltung eigentlich nur vor dem aristokratischen Familienhintergrund dieser Piloten. Sie stammen aus den edelsten Häusern, sind wohlerzogene Gentlemen, gebildet, mit besten Manieren und scharfem Verstand. Aber ihre Perspektive ist am Ende doch nur das Militär. So parliert Richthofen mit dem gegnerischen Flieger Roy Brown (Joseph Fiennes) auf dem Schlachtfeld wie in einem englischen Klub: geistreich, ironisch, lässig. Zwei vornehme Menschen, die aus ihrer Zeit gefallen scheinen, einer Klasse angehörend, deren Zeit am Ende des Kaiserreichs unwiderruflich abgelaufen ist.

Auch die schöne Käte ist nicht auf den Mund gefallen. Aber sie schwebt als Lazarettschwester nicht in den Wolken, sondern steht mit beiden Beinen auf dem blutigen Boden des Grauens. Käte Otersdorf – auch sie eine historische Figur – öffnet dem Filmhelden die Augen und lässt ihn zum Kriegsgegner werden. Von dem historischen Richthofen lässt sich das nicht behaupten. Aber Pazifismus hin oder her – entscheidend ist in der Logik des Films etwas anderes: dass der Überflieger Bodenhaftung gewinnt und der Realität ins Auge sieht. Und die ist in den letzten Kriegsmonaten alles andere als ein Spiel.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-rote-baron-2008