The Elephant King

Ein Debüt, das es in sich hat

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Auf ganz persönliche Erlebnisse und Erfahrungen griff der Regisseur Seth Grossman für sein Spielfilmdebüt zurück, zu dem er auch das Drehbuch schrieb und das überwiegend dort gedreht wurde, wo es auch spielt: im Norden Thailands. Doch im Laufe ihrer Entstehung nahm die Geschichte um zwei gewaltig unterschiedliche Brüder eine ganz eigene Dynamik an, wohl die optimale Entwicklung für einen ersten großen Stoff, denn The Elephant King beeindruckte auf zahlreichen Festivals sowohl Publikum wie auch Jury und wurde unter anderem beim Sacramento International Film Festival 2007 mit drei Preisen – Best Film, Outstanding Musical Score und Best Visual Design – ausgezeichnet.
Lange ist es her, seit sich die Brüder Jake (Jonno Roberts) und Oliver (Tate Ellington) das letzte Mal sahen, und nun reist der jüngere, scheue Oliver in den Norden Thailands, um seinen extrem lebenshungrigen großen Bruder dort zu besuchen. Jake amüsiert sich in Chiang Mai bereits eine ganze Weile mit ausschweifendem Lebensstil – allerdings als Flucht vor unangenehmen Verpflichtungen in den USA und auf Kosten seiner Familie, so dass sich seine Eltern (Ellen Burstyn, Josef Summer) zunehmend Sorgen machen und hoffen, dass Oliver den verlorenen Sohn zur Rückkehr bewegen kann.

Doch kaum ist Oliver nach anfänglicher Zurückhaltung in die fremde, verführerische und aufregende Welt seines Bruders eingetaucht und glaubt in der hübschen Lek (Florence Faivre) die große Liebe entdeckt zu haben, teilt er seiner entsetzten Mutter telefonisch mit, dass nun auch er nicht mehr wiederkommt. Für den zu Depressionen neigenden jungen Mann mit suizidalen Tendenzen, der zu Hause in einer Spülküche arbeitet und heimlich schriftstellerischen Impulsen nachgeht, scheint das Leben in der exotischen Fremde, wo alle so freundlich zu ihm sind, erst richtig loszugehen, und Jake setzt alles daran, dass sich sein kleiner Bruder wohl fühlt.

Nach einer geradezu rauschhaften Zeit im vermeintlichen Paradies aber beginnt die Fassade des vollen, angenehmen Lebens zu bröckeln. Die Beziehung der beiden Brüder untereinander beginnt erneut zu brodeln, und alte Konflikte aus Kindheit und Jugend kommen erneut zum Vorschein, zumal sich die finanzielle Situation Jakes trotz seiner Protzereien im Grunde desolat gestaltet, und die Verbindung zwischen dem schönen Mädchen Lek und Oliver, der diese für Liebe hielt, stellt sich als bezahltes Arrangement des großen Bruders heraus – eine grausame Entdeckung für den labilen Oliver. Und dann ist da auch noch der seltsame Elefant, den Jake in einem Anfall von Größenwahn gekauft hat, der zum Symbol der brüderlichen Rivalität avanciert ...

The Elephant King stellt ein gelungenes, frisches und mutiges Debüt dar, das vor dem Hintergrund vielschichtiger, ernsthafter Themen, einer bezaubernden Landschaft und einer sehr ansprechend installierten Musik auch noch sehr angenehm unterhaltsam ist. Das Ensemble der Schauspieler agiert äußerst sehenswert und stimmig: Newcomer Tate Ellington (You Are Alone, 2005) erhielt für seine feinfühlige und ambivalente Verkörperung des Oliver die Auszeichnung als Bester Darsteller beim Brooklyn International Film Festival 2007; der Shakespeare-Experte Jonno Roberts, der für seine Rollen in den Stücken des großen Klassikers in den USA bereits zu Ansehen und Popularität gelangt ist, gibt ganz großartig den Großkotz; das Fotomodel Florence Faivre liefert als verführerische, käufliche Schönheit einen bemerkenswerten und gelungenen Auftakt als Schauspielerin, und Ellen Burstyn als große alte Dame der Filmwelt (Alice lebt hier nicht mehr / Alice Doesn´t Live Here Anymore, 1974, Der starke Wille / Resurrection, 1980, Requiem for a Dream, 2000), etliche Nominierungen und Preise schwer, spielt die besorgte und aufgebrachte Mutter zweier so verschiedener Söhne absolut überzeugend und unterstützt den Film mit ihrer lässigen Souveränität.

Dabei ist The Elephant King kein harmonischer, perfekter Film, der dem Zuschauer in jedem Moment gefällt, sondern eher jener Art, deren mehrschichtige Thematik ein Terrain erschließt, das jeder anders betrachten kann. Sicherlich wird nicht alle eine Assoziation zur US-amerikanischen Außenpolitik beim Brüder-Konflikt anfallen, die Regisseur Seth Grossman selbst konstatiert, doch das ist das wirklich sehr Schöne und Gelungene an diesem Film: Jeder Zuschauer kann in hohem Maße selbst die Aspekte ausmachen, die ihn innerhalb der Themenvielfalt besonders ansprechen, und sich entsprechend davon berühren lassen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-elephant-king