Bird's Nest - Herzog und De Meuron in China

Bauen für die Olympischen Spiele

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

„Das Vogelnest“ – so wird das gerade in Peking entstehende Nationalstadion aufgrund seiner Optik genannt, das pünktlich zur Eröffnung der Olympischen Spiele fertig gestellt werden soll. Verantwortlich für den Entwurf und die Durchführung sind die beiden Schweizer Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die zu den international renommiertesten Architekten gehören und die Kennern der Szene durch Aufsehen erregende Bauten wie die Tate Modern oder die Allianz Arena in München bekannt sein dürften. Christoph Schaub und Michael Schindhelm haben die beiden Architekten auf ihrem Weg ins Reich der Mitte begleitet und zeigen am Bau, wie Herzog und De Meuron arbeiten. Für Architekturfans dürfte dies ein sehenswerter Film sein, da es hier nicht um eine Bestandsaufnahme bereits gebauter Projekte geht, sondern vor allem um „work in progress“ – mit all seinen Schwierigkeiten.
Es ist für die beiden Architekten aus Basel das vielleicht wichtigste Gebäude ihrer Karriere, wie Jacques Herzog bekennt. Und eines der komplexesten und beeindruckendsten Bauprojekte unserer Zeit ist es ebenfalls: 320 Meter lang und 60 Meter hoch misst das Stadion, die Hülle besteht aus einem bizarr anmutenden Geflecht aus Stahlträgern, die sich auf den ersten Blick tatsächlich wie die Zweige eines gigantischen Vogelnestes ausnehmen. Für die Chinesen ist dies eine glückliche Fügung, denn für sie symbolisiert ein Vogelnest Geborgenheit, Schutz, Heimat – und das sind für ein Stadion in der Hauptstadt des Riesenreiches ideale Assoziationen und Metaphern.

Seit dem Jahre 2002, als der Architektur-Wettbewerb für die Gestaltung der zentralen Sportstätte für die Olympischen Spiele 2008 stattfand, sind Herzog und De Meuron in China unterwegs, sammeln Eindrücke und versuchen sich in die fremde Kultur einzufühlen. Nach dem Scheitern von Großprojekten in Moskau und Dubai wissen sie, dass es ohne ein hohes Maß an Verständnis für das Denken und Fühlen der anderen Seite nicht geht. Und mehr noch: Bei ihrer Arbeit, die sie selbst als kontextuell bezeichnen, geht es darum, Elemente der Lebenswelt, der Traditionen und Formensprache Chinas aufzugreifen und mit in den Bau einfließen zu lassen. Ein langwieriger Prozess, bei dem die Architekten neben den offiziellen chinesischen Bauleitern und anderen Funktionären, die die Bauarbeiten überwachen, auch auf die Hilfe des renommierten und spätestens seit der Documenta 12 auch in Deutschland bekannten Künstlers Ai Weiwei zurückgreifen.

Neu waren auch die Erfahrungen, die die beiden Architekten in der alltäglichen Zusammenarbeit machen mussten. Da wurden die beiden gefeierten Stars der internationalen Szene gerne mal bei Festakten übersehen und mussten so lernen, dass im kommunistischen Apparat der Architekt nur ein weiteres Rädchen in der großen Maschinerie ist, in der das Individuum kaum etwas, das Kollektiv dafür aber alles zählt.

Ähnliche Schwierigkeiten gab es auch bei der Entstehung des Films zu meistern, der neben dem Vogelnest noch ein weiteres Bauvorhaben von Herzog und De Meuron in China begleitet: Parallel zum Bau des riesigen Stadions mit 100.000 Zuschauerplätzen planen die beiden Basler in Jinhua, vier Stunden Autofahrt südlich von Shanghai, einen ganzen Stadtteil. Insgesamt dauerten die Dreharbeiten vier Jahre, acht Mal mussten die Filmemacher nach China reisen, um dort jedes Mal aufs Neue eine veränderte Situation vorzufinden – ganz abgesehen von den minutiösen Vorplanungen, die vor allem den strengen Auflagen und enormen Beschränkungen seitens der chinesischen Behörden geschuldet waren. Außerdem kam noch hinzu, dass die Filmemacher selbst nicht der chinesischen Sprache mächtig waren und der Zeitplan von Jacques Herzog und Pierre De Meuron ziemlich eng war. Doch trotz aller Schwierigkeiten wurde der Film rechtzeitig fertig – im Gegensatz zum Bird’s Nest, das wir zwar in allen Stadien des Entstehens, doch niemals fertig zu Gesicht bekommen. Allerdings besteht kein Zweifel, dass das National Stadium rechtzeitig zu den Eröffnungsfeierlichkeiten im Sommer fertig sein wird. Und wenn man diesen Film gesehen hat, weiß man nicht, was man mehr bewundern soll – die kühne Architektur des Bauwerks oder die Tatsache, dass alle kulturellen und ideologischen Differenzen dieses Werk nicht an seiner Vollendung hindern können.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/birds-nest-herzog-und-de-meuron-in-china