Meine Mutter, mein Bruder und ich

Deutschland, fremde Heimat

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Integration von Ausländern ist zum Schlüssel- oder Reizthema in unserer Gesellschaft geworden, und allzu oft wird bei den Diskussionen um Sprachkenntnisse, um Prinzipien einer Leitkultur und um Abschottungstendenzen vergessen, welche Schicksale sich hinter den abstrakten Zahlen der zuständigen Behörden verbergen. Nuran David Calis, der selbst als Sohn jüdisch-armenischer Einwanderer geboren wurde und der sich vom Türsteher bis an die renommierte Otto-Falkenberg-Schule in München durchboxte, wo er Regie studierte, beleuchtet in seinem Film Meine Mutter, mein Bruder und ich das Innenleben einer armenischen Familie, die im deutschen Exil lebt. Zwischen Bangen und Hoffen, tiefer Trauer und fröhlicher Ausgelassenheit und mit deutlichen Bezügen auf Calis’ eigene Biographie zeichnet der Film ein verblüffend schlüssiges und glaubwürdiges Bild, ohne in die zu erwartenden Klischees zu verfallen.
Seit mehr als zehn Jahren lebt der in Armenien geborene Areg (Erhan Emre) nun bereits in Deutschland. Während er sich im Laufe der Zeit gut eingelebt hat – immer noch wartet die Familie auf ihre Einbürgerung – hat er perfekt Deutsch gelernt und träumt davon, später einmal ein berühmter Regisseur zu werden. Er studiert in München, lebt dort in einer WG und hat eine deutsche Freundin. Ganz anders hingegen lebt seine verwitwete Mutter Maria (Lida Zakaryan), die immer noch ausschließlich armenisch spricht, lieber heute als morgen in ihre Heimat zurück will und die darauf drängt, ihren Ältesten mit einer Armenierin zu verheiraten. Doch der denkt nicht im Traum daran.

Auch Aregs kleiner Bruder Garnik (Kurt Onur Ipekkaya) träumt ebenfalls von Armenien, seit ihm ein Priester von einem sagenhaften Goldschatz erzählt, der irgendwo in der Nähe von Marias Dorf versteckt sein soll. Klar, dass Garnik ebenfalls gerne nach Armenien zurückkehren würde, doch er geht dabei wesentlich subtiler vor als seine Mutter. Dann erkrankt Maria schwer, so dass Areg zunächst widerwillig nach Regensburg zurückkehrt, um sich ihrer anzunehmen. Und trotz seines Widerwillens beginnt sich hier, Aregs Haltung zu Armenien langsam zu verändern.

Drei Menschen, drei Haltungen zu der alten und zu der neuen Heimat. Da ist die Mutter, die einfach nicht vergessen will, die immer noch in der armenischen Vergangenheit lebt und die sich weigert, in Deutschland anzukommen. Dann Areg, der bestens integriert ist und kaum einen Gedanken an Armenien verschwenden würde. Und schließlich Garnik, der sich in beiden Welten wohl fühlt, ein Schüler mit bestem Zeugnis, der aber auch auf kindliche Weise seine Sehnsucht nach der alten Heimat zulässt, obwohl er sie allenfalls aus Erzählungen kennt. Diese Figurenkonstellation wirkt ein wenig konstruiert, doch Nuran David Calis weiß dies immer wieder durch Szenen voller Komik – etwa wenn die beiden Söhne ihre kranke Mutter bei deren Putzjob vertreten – zu brechen. Das Ende allerdings ist dann doch etwas zu pathetisch geraten: Die Weiten Armeniens und dessen Berge lassen es beinahe wie das gelobte Land erscheinen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/meine-mutter-mein-bruder-und-ich