Der Baader Meinhof Komplex (2008)

Spirale der Gewalt

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Berlin, Sommer 1967. Der persische Schah kommt auf Staatsvisite in die deutsche Hauptstadt. Als er vor der Deutschen Oper aus seiner Luxuslimousine aussteigt, geraten die Anhänger des Schahs und die Demonstranten in eine gewalttätige Auseinandersetzung, deren fürchterliches Ende in der Ermordung von Benno Ohnesorg mündet. Der brutale Polizeieinsatz und das blinde Drauflosprügeln auf unbewaffnete und wehrlose Demonstranten wird minutenlang und atemlos filmisch inszeniert, so dass der Zuschauer bereits ab den ersten Minuten direkt in die historischen Ereignisse hineinkatapultiert wird, die mit zur Gründung der Roten Armee Fraktion (RAF) führten.

In zweieinhalb Stunden haben Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Uli Edel die Stationen von Andreas Baader (Moritz Bleibtreu), Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek), Ulrike Meinhof (Martina Gedeck) und anderen RAF-Mitgliedern nachgezeichnet, die sich immer mehr radikalisieren und auch vor Mord nicht zurückschrecken. Während sie anfangs noch mit Brandsätzen und Schriften die Politik und Öffentlichkeit versuchen wachzurütteln, entschließen sie sich bald für den bewaffneten Widerstand gegen den politischen Status Quo der Bundesrepublik und gründen die RAF. Deren Gewalt eskaliert im Laufe der folgenden Jahre immer mehr, und auch die Inhaftierung 1972 von Meinhof, Baader, Ensslin und Jan-Carl Raspe (Niels Bruno Schmidt) bringt nicht die Eindämmung des Terrorismus. Gegenspieler der RAF ist der Chef des Bundeskriminalamts Horst Herold (Bruno Ganz), der sich bemüht, in die Denkstrukturen der RAF-Mitglieder hineinzufinden um gegen sie vorzugehen. Herold erkennt aber auch, dass eine Revolution nur innerhalb eines kränkelndes System hervorgerufen wird. Mittlerweile wächst die zweite Generation von RAF-Mitgliedern nach, die noch brutalere Gewalt anwenden als ihre inhaftierten Genossen, die mittlerweile zu einem Mythos geworden sind. Während des Prozesses gegen die RAF-Mitglieder wird Ulrike Meinhof erhängt in ihrer Zelle aufgefunden –geplanter Mord? Schließlich gipfelt der bewaffnete Krieg im "Deutschen Herbst" 1977 mit der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer und einer Lufthansa-Maschine. Kurz danach liegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe tot in ihren Stammheimer Zellen, was wiederum zur Ermordung Schleyers führt.

Der Film Eichingers, der sich bereits mit Der Untergang eines historischen Stoffes angenommen hat, ist kein RAF-Mythen schaffendes Produkt, sondern eine extrem spannend inszenierte Produktion, die beide Seiten beleuchtet, ohne zu verurteilen oder zu werten, wobei sich der Film stark an das gleichnamige Buch Stefan Austs hält. Dabei wird die Brutalität, die sowohl bei den Polizeieinsätzen angewandt wird, als auch die der skrupellosen bewaffneten Freipressungen und Attentate der RAF detailliert dargestellt, die das Hinsehen einerseits unmöglich macht, andererseits gerade deswegen den Blick auf die Leinwand fesselt. Diese Erbarmungslosigkeit ist durch Polizeiberichte bestätigt, an denen sich Eichinger bis auf jeden einzelnen Schuss gehalten hat. Die Authentizität des Filmes ist groß, so wurde vielfach an Originalschauplätzen gedreht, auf künstliche Beleuchtung und visuelle Effekte weitgehend verzichtet und die Dialoge halten sich großteils an überlieferte Texte oder Gesprächsinhalte. In schneller Schnittfolge sind teilweise Originalaufnahmen hineingebracht, die nicht nur die verblüffende Ähnlichkeit der Schauspieler mit den realen Personen verdeutlichen, sondern auch untermauern, wie nah der Film an der Realität geblieben ist - ganz im Sinne des "Cinéma vérité".

Die Schauspieler-Riege liest sich wie das Who is Who des deutschen Kinos und selbst kleinere Rollen werden von großen Namen besetzt, beispielsweise spielt Tom Schilling, der gerade als Robert Zimmermann auf den Kinoleinwänden zu sehen ist, den Attentäter Rudi Dutschkes oder Anna Thalbach, die in der Rolle der Ingrid zu sehen ist. Beeindruckend ist vor allem Martina Gedeck als Ulrike Meinhof, die den leicht monotonen und gepressten Sprachduktus der Journalistin täuschend echt nachahmt und Moritz Bleibtreu, der überzeugend den cholerischen und egozentrischen Andreas Baader zum Besten gibt.

Die Jugendfreunde Eichinger und Edel haben sich bewusst entschieden, den Film nicht exemplarisch an einer Figur zu erzählen und lassen dadurch keinen Raum für Identifikationsflächen zu. Außerdem wirken sie damit einer Mythenbildung entgegen, denn keine der Figuren wird glorifiziert oder besonders heldenhaft dargestellt. Das wird letztendlich auch den Angehörigen der Opfer gerecht, die den Film vorab gezeigt bekamen, sich durchgehend positiv über die Darstellung äußerten und das Andenken der Getöteten nicht gestört sehen.

Der Film wirft zwar viele Fragen auf, die nicht ohne weiteres beantwortet werden können und die gewalttätigen Szenen lassen ein bedrückendes Gefühl zurück, vor allem aber setzt sich dieses filmisch exzellent umgesetzte Stück deutscher Nachkriegsgeschichte als eindrückliches und großartiges Kinoerlebnis mit Tiefgang im Kopf fest. So wird denn auch Der Baader Meinhof Komplex als deutscher Beitrag für den Besten Nicht Englischsprachigen Film in das Rennen um den Oscar gehen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-baader-meinhof-komplex-2008