Die Entdeckung der Currywurst

Eine Insel zwischen Krieg und Frieden

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Nein, dieser Film ist keine kulinarische Entdeckungsreise, auch wenn Die Entdeckung der Currywurst an einer Imbissbude in Hamburg beginnt und dort auch wieder endet. Tatsächlich spielt die angebliche, historisch nicht belegte Erfindung des beliebten Imbisses in der Geschichte allenfalls eine Nebenrolle, in Wirklichkeit geht es um etwas ganz anderes: Ulla Wagners Film nach der gleichnamigen Novelle von Uwe Timm schildert die Zeit des Kriegsendes als Ausnahmezustand, als Insel zwischen den Zeiten und als Phase des Übergangs ins Ungewisse: An den Endsieg der Nationalsozialisten glaubt außer den Unverbesserlichen längst niemand mehr, die Menschen haben sich in die unabwendbare Niederlage gefügt und versuchen nur noch zu überleben und sich auf den Neubeginn vorzubereiten. Doch die Stützen des nationalsozialistischen Staates lauern überall – bei der Arbeit, in den Straßen, wo Feldjäger nach Deserteuren suchen und in Lena Brückers Haus, in dem der Hauswart Lammers (Branko Samarovski) noch mit eiserner Faust regiert – obwohl die Welt rings um ihn längst in Schutt und Asche versunken ist.
In dieser Situation werden Lena und Hermann zum Rettungsanker für den jeweils anderen: Während die wesentlich ältere Frau, deren Mann Gary (Götz Schubert) sich seit Jahren an der Front nicht mehr gemeldet hat und deren Sohn Jürgen (Frederick Lau) gerade als Flakhelfer eingezogen wurde, in Hermann jemanden findet, der ihr Liebe und Zuneigung gibt, geht es bei Hermann Bremer (Alexander Khuon) ums nackte Überleben. Er wurde zum Endkampf an die Heimatfront abkommandiert und hat keine Lust, als Kanonenfutter für die Nazis zu dienen. Als sich die beiden per Zufall vor einem Kino begegnen und Lena spürt, dass der junge Marinesoldat auf der Flucht ist, nimmt sie ihn trotz großer Gefahr mit zu sich nach Hause und versteckt ihn dort in ihrer Wohnung. Für die beiden Einsamen wird die Wohnung zur Zuflucht vor einer Welt, die Kopf steht: Während draußen die Bomben niedergehen, zelebrieren sie eine Liebe auf Zeit, von denen beide wissen, dass sie keinen Bestand haben wird. Irgendwann wird Gary (vielleicht) nach Hause zurückkehren. Und dass Hermann Frau und Kind hat, ahnt Lena längst, auch wenn dieser das nicht zugibt. Als der Krieg dann endlich vorbei ist, zögert Lena das Ende noch ein wenig hinaus, um den Seemann noch ein Weilchen bei sich zu behalten. Denn dessen Anwesenheit tut ihr gut. Doch die Wahrheit lässt sich nicht ewig verbergen.

Behutsam hat sich Ulla Wagner Uwe Timms Buch angenähert und gibt sich große Mühe dabei, dem Werk gerecht zu werden. Dass dabei die Rahmenhandlung der Novelle ebenso gestrichen wurde wie ein Kind Lenas (in der Vorlage hat Lena Brückner nämlich zwei Kinder), dient der Straffung und ist sicherlich auch für Fans des Buchs leicht zu verschmerzen. Barbara Sukowa ist als Lena eine gute Wahl: Sie bringt genau die richtige Mischung aus erwachendem Selbstbewusstsein und Verletzlichkeit mit, die ihre Rolle prägt. Weniger überzeugend hingegen ist Alexander Khuon in seiner ersten Hauptrolle, was aber auch am Fokus des Buchs und damit auch des Films sowie an der enormen schauspielerischen Präsenz Barbara Sukowas liegen mag.

Hinzu kommt zwei Szenen, die beide Hermann betreffen und die sich nicht so recht in die Psychologie seiner Figur fügen wollen: Warum nur, so fragt man sich, trampelt der desertierte Hermann mit seinen Stiefeln wie ein Elefant durch die Wohnung Lenas, um auch dem letzten Bewohner klar zu machen, dass sich hier ein Untergetauchter versteckt hält, der sich nichts sehnlicher wünscht als seine Entdeckung? Ebenso unverständlich bleibt sein plötzliches Interesse an strategischen Erwägungen, die ihn plötzlich und wie aus heiterem Himmel als strammen Antikommunisten charakterisieren, ohne dass dies zuvor eingeführt worden wäre.

Es sind Unstimmigkeiten wie diese, die den Film immer wieder unbeholfen und schwerfällig, manchmal beinahe plump erscheinen lassen und die verhindern, dass sich der Zauber von Uwe Timms Novelle auch dem Kinozuschauer zur Gänze erschließt.

Handwerklich sauber, aber manchmal eine Spur zu brav und zurückhaltend inszeniert beschert der Film vor allem ein Wiedersehen mit der wunderbaren Barbara Sukowa, die in den letzten Jahren nur noch selten auf der Leinwand oder im Fernsehen zu sehen war. Und man erinnert sich gern an das Jahr 1990, als Sukowa in Lars von Triers cineastischem Meisterwerk Europa zu sehen war. Auch da spielte sie eine deutsche Frau, die sich im Nachkriegsdeutschland behaupten muss – nur war Europa der weitaus bessere Film und die Rolle, die Barbara Sukowa dort spielt, ungleich vielschichtiger und hintersinniger.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-entdeckung-der-currywurst