O’Horten

Es fährt ein Zug nach Nirgendwo...

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im futuristischen Führerstand seiner hochmodernen E-Lok wirkt dieser Mann wie ein Fremdkörper. Das sorgsam gestutzte Bärtchen, die freundlichen Augen, der schmale, sehnige Leib in der Uniform der norwegischen Eisenbahn: Viel eher könnte man sich diesen Herrn als tollkühnen Flieger zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorstellen, als waghalsigen Piloten schneller Automobile in den Zwanzigern oder Dreißigern, als Pionier der Raumfahrt. Er wirkt wie aus der Zeit gefallen, ein soignierter älterer Herr, ein Gentleman in Zeiten, in denen es so etwas kaum noch gibt.
Odd Horten (Bård Owe), so der Name des Mannes, steht kurz vor seiner letzten Dienstfahrt, er hat das Pensionsalter erreicht und wird in den Ruhestand versetzt. Doch eine letzte Fahrt wird es in sich haben: Ausgerechnet er, dieses Muster an Zuverlässigkeit und Solidität, landet bei seiner Abschiedsfeier mit den Lokomotivführerkollegen unversehens in einer fremden Wohnung, wo der liebenswürdige alte Herr von einem resoluten Knirps als Ersatzopa benutzt wird. Ein Fehltritt mit Folgen, denn so verschläft er seinen Dienstantritt zur letzten großen Fahrt in die eisigen Weiten seiner Heimat und stolpert nun von einem Abenteuer ins nächste. Mit großer Gelassenheit und ohne jede Gefühlsregung erträgt Horten die Anfeindungen des Schicksals, um schließlich am Ende seiner Reise doch am Ziel anzugelangen.

Wie schon in Kitchen Stories wirft Bent Hamer auch in O’Horten einen liebevoll-verschmitzten Blick auf seine Landsleute und entwirft eine Geschichte, die voller leiser Melancholie, skurrilem Humor und grimmigem Stoizismus steckt. Immer wieder findet Hamer großartige Bilder voller Absurdität, die den Film auch zu einem Panoptikum seltsamer Gestalten machen: Die Lokführer-Vereinigung, die mit kindlicher Freude ihr Lied zelebriert, der Mann, der korrekt gekleidet nachts auf dem Hosenboden die spiegelglatte Straße hinunter gleitet und dabei auf eine aufrechte Haltung achtet, die Fahrt mit einem alten Citroen mit einem Fahrer, der nichts sieht, der Zug, der durch die unendliche Weite der Schneelandschaft gleitet und immer wieder ins Dunkel der Tunnels dringt, um dann wieder ins blendende Weiß zurückzukehren – all das und die ergreifende Musik von Kaada vergisst man nicht mehr so schnell. Oftmals fühlt man sich an Aki Kaurismäkis Personal erinnert, wenngleich Bent Hamers Horten nicht so voller Verzweiflung steckt wie die traurigen Helden des finnischen Regisseurs.

Zwar ahnt man beim Blick in die karge, einsame Wohnung des Lokomotivführers das Schlimmste und befürchtet die große Leere, die nun über den Pensionär hereinbricht. Landet Odd Horten auf dem Abstellgleis, ausrangiert als altes Eisen? Mitnichten: Am Ende seiner letzten Fahrt, als er seiner Bekannten / Gefährtin / Freundin Svea (Henny Moan) begegnet, sehen wir bei diesem Mann zum ersten Mal ein Lächeln auf dem Gesicht. Es ist das Lächeln eines Mannes, der angekommen ist. Das Leben ist kein Sackbahnhof. Aber wohin es uns führt, das können mit Gewissheit nicht einmal die Lokomotivführer sagen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ohorten