Räuber Kneißl

Eine bayrische Legende

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Nun hat er es schon wieder getan: Marcus H. Rosenmüller, der mit Abstand bayrischste und zugleich produktivste unter den jungen Filmemachern in Deutschland, bringt seinen neuen Film auf die Leinwand. Es ist sein fünfter seit 2006 (nach Wer früher stirbt, ist länger tot, Schwere Jungs, Beste Zeit und Beste Gegend). Und zwei weitere Projekte harren bereits der Vollendung, Die Perlmuttfarbe soll noch in diesem Jahr fertig werden, Beste Chance, der seine Trilogie um das Erwachsenwerden im Dachauer Land vollenden wird, folgt dann im nächsten Jahr. Im Gegensatz zu seinen vorherigen Filmen wagt Rosenmüller nun zwar nicht den Schritt aus seiner bayrischen Heimat heraus, aber immerhin in eine andere Zeit. Sein Räuber Kneißl widmet sich einem in Bayern höchst lebendigen Mythos eines Volkshelden, dem Reinhard Hauff bereits 1970 ein filmisches Denkmal setzte. Ein weiterer Film von Oliver Herbrich mit dem Titel Das stolze und traurige Leben des Mathias Kneissl stammt aus dem Jahre 1980. Und nun also ein weiterer Film über das kurze Leben des Räubers Kneißl – die Legende um den Wilderer erfreut sich anscheinend noch immer großer Beliebtheit.
Eines vorab: Rosenmüller und seine Drehbuchautoren Karin Michalke (Beste Gegend und Beste Zeit) und Christian Lerch (Wer früher stirbt, ist länger tot) halten sich eng an die historischen Fakten: Mathias Kneißl (im Film gespielt von Maximilian Brückner, der derzeit mit Selbstgespräche im Kino zu sehen ist) wird im Jahre 1875 als ältestes von sechs Kindern in der Gegend von Dachau geboren, seine Eltern betreiben eine Mühle und eine Gastwirtschaft. Dass die Kneißls ganz nebenbei auch noch gefürchtete und mit allen Wassern gewaschene Wilddiebe sind, liegt sozusagen in der Familientradition. Doch die kriminelle Energie, die der Familie im Blut liegt, und die Armut treibt die Kneißls zu immer verwegeneren Taten. Und damit wächst die Gefahr, was die Kneißls während der Plünderung einer Wallfahrtskirsche auch zu spüren bekommen: Der Vater (Michael Fitz, bekannt aus dem Münchner Tatort, bei dem er den Kommissar Carlo Menzinger gab) kommt bei der Flucht vor der Gendarmerie ums Leben, die Mutter (Maria Furtwängler) landet wegen Hehlerei im Gefängnis, so dass die Kinder auf sich selbst angewiesen sind. Als die beiden Brüder Mathias und Alois (Florian Brückner, der leibliche Bruder von Maximilian Brückner) von den Gendarmen wegen Schwänzens der Sonntagsschule ins Gefängnis gesteckt werden sollen, löst sich ein Schuss und verletzt einen der Ordnungshüter schwer, worauf die beiden Burschen ihrer Mutter ins Gefängnis folgen. Aus heutiger Sicht würde man wohl sagen, dass die beiden aufgrund ihres Umfeldes und Unerbittlichkeit von Exekutive und Justiz niemals eine wirkliche Chance hatten. Doch Rosenmüller hält sich mit solchen Überlegungen nicht lange auf, wie er überhaupt jeden Bezug zur Gegenwart tunlichst vermeidet.

Nach sechs Jahren Haft kommt Mathias Kneißl frei, sein Bruder ist in der Zwischenzeit im Gefängnis gestorben. Trotzdem, der "Hias", dessen Mutter mittlerweile in München lebt, will versuchen, ein anständiges Leben zu führen. Als er seine Cousine Mathilde (Brigitte Hobmeier) trifft und zudem eine Stelle als Schreinergeselle antreten kann, scheinen sich all seine Träume zu erfüllen: die beiden verlieben sich ineinander und beschließen gemeinsam, den Schritt über den großen Teich nach Amerika zu wagen. Doch die Träume halten nicht lange; Kneißl lässt sich vom Gendarmen Förtsch provozieren und gerät just wieder in die Rolle des Kriminellen, von der er doch eigentlich nichts mehr wissen wollte. In die Enge getrieben wagt Hias alles, um seinen Traum vom freien Leben in Amerika doch noch zu verwirklichen...

Maximilian Brückner und vor allem die junge Brigitte Hobmeier als Kneißls Cousine und große Liebe Mathilde wirken frisch, authentisch und unverbraucht, ihre Liebesgeschichte taucht Rosenmüller in eine golden schimmernde Farbigkeit, die als Kontrast zur tristen Lebenswirklichkeit das eigentliche emotionale Zentrum des Films bildet. Nicht recht überzeugen kann allerdings die ansonsten bravouröse Maria Furtwängler als Kneißls Mutter: Auch wenn sich ihr Bayrisch für preußische Ohren authentisch anhören mag, wirkt sie in der Rolle der verhärmten Müllerin ungefähr so überzeugend wie Steven Segal als Friedensaktivist.

Überzeichnet wirkt auch das restliche Figurenensemble – vom fiesen Gendarmen Förtsch (Thomas Schmauser) über den Pfarrer bis hin zum Gesinde ist hier alles so überzeichnet, dass man sich manchmal eher in einer Mischung aus Komödienstadl, Könglich Bayerischem Amtsgericht und Räuber-Hotzenplotz-Adaption glaubt. Dieser Eindruck wird verstärkt durch Rosenmüllers unbändige Fabulierkunst, die munter alles zusammenmischt, was (vor allem im deutschen Film) nicht unbedingt zusammengehört: Historienstück, bayrischer Western, Verkleidungsklamotte, Liebesfilm, Seifenoper und Heldenlegende geben sich hier ein munteres Stelldichein und sorgen für einen großen Unterhaltungswert, sofern man des Bayrischen mächtig ist. Kein Wunder also, dass die Moritat vom posthumen Volkshelden und edlen Räuber Mathias Kneißl nicht vollkommen überzeugen kann.

Wenn man Rosenmüllers bisherigen Weg bedenkt, dann gründet sich sein Charme und sein Erfolg gerade auf die Aktualisierung und Wiederbelebung des Heimatfilms und nicht auf einen verklärten und mit Ideen übervollen Blick auf die Vergangenheit. Räuber Kneißl passt in diese Verortung nicht wirklich gut hinein. Und doch wird dieser Film zumindest in Bayern seinen Weg machen – das garantieren schon die beiden Kultstars Marcus H. Rosenmüller und der "Schachermüller-Hias".

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/raeuber-kneissl