Dance for All

Tanzend dem Ghetto entkommen

Eine Filmkritik von Paul Collmar

Im Gefolge des Überraschungshits Rhythm Is It! hat der Dokumentarfilm in den letzten Jahren das Tanzen gelernt und für sich entdeckt. Und dabei stehen immer wieder die integrative Kraft des Tanzes und seine Fähigkeit, mittels Bewegung Selbstbewusstsein zu erzeugen, im Fokus. Dance for All bildet da keine Ausnahme: Der Film widmet sich einer Tanzkompanie, die noch zu Zeiten der Apartheid in Südafrika gegründet wurde, um schwarzen Kindern aus den Townships von Cape Town eine klassische Ballettausbildung zukommen zu lassen.
"Dance for All", so der Name des Projekts, wurde 1991 von der weltweit renommierten Primaballerina Phyllis Spira (die am 11. März 2008 verstarb) und ihrem Ehemann, dem Tänzer Philip Boyd (beide vom Cape Town City Ballet) in Anlehnung an ein Projekt des Leiters des Cape Town Ballet Davis Pool gegründet. Dieser hatte in einem Vorgängerprojekt namens "Ballett for All" seit Mitte der Achtziger Ballettunterricht in dem Township Gugulethu erteilt. Unter der Führung von Spira und Boyd wurde das Programm systematisch ausgeweitet und neue Lehrer eingestellt, so dass in der Zwischenzeit rund 1000 Kinder parallel eine Ballettausbildung erhalten. Großen Wert legen die beiden professionellen Tänzer auf die Kontinuität der Ausbildung, um besonders begabten Schülern den Weg in die Ballettkompanien zu ermöglichen und ihnen damit auch eine berufliche und künstlerische Perspektive zu bieten. Und wie der Film verrät, ist dieses Vorhaben durchaus geglückt.

Elena Bromund, die bislang vor allem als Cutterin gearbeitet hatte ( Schnitt für Väter und Alles auf Zucker! von Dani Levy sowie für Liegen Lernen von Hendrik Handloegten), und Viviane Blumenschein (die als Regisseurin die Making Ofs verschiedener Filme wie Good Bye, Lenin und Mein Führer betreute) kamen über Bromunds ehemaligen Ballettlehrer Winfried Vaassen auf die Spuren des Projekts. Im Jahre 2004 brachen sie zu einer ersten Recherchetour nach Südafrika auf und kehrten beeindruckt von dem, was sie dort erlebt hatten, nach Deutschland zurück, um nach der Sicherung der Finanzierung dreieinhalb Monate in den Townships zu drehen – ein Abenteuer, an das die beiden nach eigener Auskunft anfangs recht naiv herangegangen sind. Doch vielleicht ist es ja gerade diese Unbefangenheit und die spürbare Neugier, die diesem Film seine unbestreitbare Faszination verleiht.

Im Mittelpunkt stehen dabei neben den beiden Machern Phyllis Spira und Philip Boyd verschiedene junge Tänzer und deren Lebenssituation, die die ganze Ambivalenz des Landes wie unter einem Vergrößerungsglas offen legen. Da ist beispielsweise der Profitänzer Nqaba, der seit 12 Jahren beim Dance for All Projekt ausgebildet wurde. Ohne Vater aufgewachsen wurde er von Spira und Boyd mit großgezogen und steht kurz vor einer Profikarriere. Als er nach einem Aufenthalt in San Francisco nach Cape Town zurückkehrt, träumt er davon, eine internationale Karriere anzutreten und Südafrika so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Oder die gerade erst 12 Jahre alte Zandile, die zuhause enorme Probleme mit ihrem Vater hat und für die das Tanzen alles ist. Theo hingegen hat es geschafft, er war eines der ersten Kinder, das mit der Ausbildung anfing, mittlerweile arbeitet er in London und kehrt immer wieder in seine Heimat zurück, um etwas von dem zurückgeben, was er mit auf den Weg bekommen hat.

Was auffällt an dem Film, ist der andere Blick, den die beiden Regisseurinnen auf die Townships finden. Herrschen sonst meist Bilder vor, die die Distanz und Fremdartigkeit der Siedlungen betonen, indem beispielsweise aus einem fahrenden Auto heraus gefilmt wird, zeigt der Film Bilder (hervorragend die Kameraarbeit von Franz Lustig) von großer Nähe und Unmittelbarkeit, die von den Wunsch berichten, nah an der alltäglichen Lebenssituation der Einwohner dran zu sein und mit ihnen zu leben. Im Kontrast dazu wirken die Ballettsequenzen sehr stilisiert und der tristen Realität enthoben, sie betonen die vollkommen unterschiedlichen Lebenswelten des harten Alltags in den Townships und des Trainings im geschützten Raum des Tanzsaales. Einfacher und effektiver lässt sich die Situation der jungen Eleven zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Bühne und Leben kaum schildern.

Zumal die Probleme der Townships nicht hinter den Spitzenschuhen und Ballettröckchen verschwinden, sondern sich immer wieder zeigen. Manchmal geschieht dies zwar nur am Rande, ist dann aber umso bezeichnender: Wenn beispielsweise ein Schild am Eingang der Schule anzeigt, dass Schusswaffen hier verboten sind, dann wird man schnell wieder daran erinnert, wo man sich gerade befindet.

Dance for All feierte seine Weltpremiere (natürlich) in Cape Town, am 22. Juli 2007 wurde der Film beim "Encounters South African International Documentary Festival" uraufgeführt. Auf den 41. Hofer Filmtagen erhielt der Film zudem im vergangenen Jahr den Kodak Eastman Förderpreis. Der Film soll im Jahre 2010 eine Fortsetzung erfahren: Dann, wenn die Augen der Welt sich auf die in Südafrika stattfindende Fußball-WM richten, wollen Elena Bromund und Viviane Blumenschein mit von der Partie sein, um nachzuforschen, was aus den Tänzerinnen und Tänzern der Kompanie geworden ist. Nach dem, was der Film gezeigt hat, muss man sich wohl nicht wundern, wenn in ein paar Jahren die erste schwarze Primaballerina einer großen Kompanie vielleicht ihre Wurzeln in den Townships von Cape Town hat.

Dance for All ist ein bemerkenswerter und atmosphärisch gelungener, dichter Film über ein ungewöhnliches Projekt, der manchem Tanzfan die Augen dafür öffnen dürfte, welche großen Hoffnungen und Chancen sich hinter vermeintlich kleinen Projekten verbergen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/dance-for-all