Little Paris

Topp oder Flopp? Zwei Betrachtungsweisen zu einem Film

Eine Filmkritik von Stefan Otto

Wie unterschiedlich doch Filme sein können. Und wie unterschiedlich sie beschrieben werden können. Im Falle von Little Paris erreichten uns zwei Kritiken, die den Film sehr unterschiedlich bewerten. Und weil es die eine Wahrheit nicht gibt - schon gar nicht bei der Filmkritik -, wollen wir keine der Kritiken vorenthalten. Die Entscheidung über Gut oder Schlecht, über Erfolg oder Misserfolg ist sowieso eine, die nicht in den Feuilletons, sondern an der Kinokasse und im persönlichen Erleben stattfindet.
Verunglückter Film-Sprung

Ob Step up to the Streets oder Save the last dance - diesen Teeniefilmen kann man von formelhafter Handlung bis hin zu Klischee-Charakteren vieles vorwerfen. Aber mit ihrem Hauptanliegen, der Vermittlung von berauschend-akrobatischen Tanz-Szenen zu pumpenden Beats konnten sie bei der anvisierten Zielgruppe immer punkten. Ganz anders ihr deutsches Pendant, Little Paris, inszeniert von Miriam Dehne - bisher "bekannt" für die Regie der ersten MySpace Internet-Soap They call us Candy Girls.

Laut Pressetext sind "Frauen, Erotik, Tanz und Musik das Zentrum" von Miriam Dehnes filmischem Schaffen. Dieser Tatsache kann man bei der Betrachtung von Little Paris nicht widersprechen. Nur gelingt es Dehne niemals auch nur annähernd aus diesen vier "magischen" Zutaten eine plausibel erzählte, mitreißende Geschichte zu erzählen. Bei der Auflistung an filmischen Verfehlungen, die sie sich in Little Paris leistet, sticht eine Tatsache besonders schmerzhaft hervor, die auch wieder zu den erfolgreichen US-Vorbildern überleitet. Dehnes Hauptfigur Luna (Sylta Fee Wegmann) lebt und atmet laut Drehbuch das Hip Hop-Tanzen. Aber dem Zuschauer zeigt sie in keiner Szene das angeblich vorhandene Talent. Lunas Traum, endlich aus dem baden-württembergischen Kleinstadtmief auszubrechen und ganz naiv in der großen weiten Welt eine Profikarriere anzustreben wirkt somit von vornherein hinfällig.

Geradezu groteske Züge nimmt der Coming of age-Film besonders dann an, wenn er den schmierig-abstoßenden Tanzlehrer G (Patrick Pinheiro) ins Spiel bringt. Ein paar lockere Sprünge und Dehnübungen im Gymnastikraum sollen illustrieren, wie "hart" er mit Luna an ihrer Traumerfüllung arbeitet. Künstlicher sahen Schweißtropfen selten aus und die einstudierten Choreographien sind von blamabler, einfallsloser Schlafmützigkeit. Von Freude an Bewegung, Spaß an der Musik und der Bereitschaft zur physischen Selbstaufgabe (vorgelebt in vielen unsäglichen TV-Castingshows) spürt man nichts.

Die irritierende Künstlichkeit der Szenerie ist in Little Paris das prägende Stilmittel. Dazu passt neben peinlichen Kostümen und unwirklichen Settings der penetrant ins Bild gesetzte Mini-Eifelturm, der nicht nur das Dorf-Wahrzeichen ist, sondern – wer hätte das gedacht - für die unerfüllten Träume der vor sich dahin dämmernden Protagonisten steht.

Im baden-württembergischen Industrie-Kaleidoskop vegetieren unter anderem neben Luna ihr drogensüchtiger, lebensuntüchtiger Ex-Freund Ron (Ralph Kretschmar) und ihre beste Freundin, die hysterisch-naive Barbie (Nina Gnädig) dahin. Egal, wie sie sich bemühen, ihren holzschnittartigen Figuren können die Schauspieler kein Leben einhauchen. Unverständlich, dass auch aufstrebende Talente wie Volker Bruch (Der Vorleser), Jasmin Schwiers (Schule) und Stipe Erceg (Die fetten Jahre sind vorbei) sich an diesem zusammnengeschusterten, uninspirierten Film beteiligten. Besonders Erceg trifft es hart, der sich in einer an Showgirls erinnernden Nacht- und Nebelsexszene blamiert.

Durch die vielen Nebengeschichten um gescheiterte Liebesträume, Frustrationen in der Arbeit und Betrug der besten Freundin kommt Little Paris nie auf den Punkt. Einige solide Hochglanz-Perspektiven zeigen zwar Dehnes formales Können, aber ihr unfokussierter, unglaubwürdiger Plot zerstört jeden Filmgenuss. Und ihre aufgesetzte Pseudojugendsprache um "aggro"- und "geil"-Gefühlsausdrücke zeigt einen mangelnden Einblick in die tatsächlichen verbalen Ausdrucksmittel junger Menschen. So kommt Dehne auch den wirklichen Ängsten und Problemen dieser Jugendlichen nicht näher.

Als gegen Ende der eigentliche Haupthandlungsstrang – Lunas Teilnahme an einem Berliner "Dance Contest" mit Aussicht auf ein Engagement bei Musikvideos – endlich zur Sprache kommt hat man leider das Interesse an Little Paris bereits verloren.

(Florian Koch)

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Luna on the Dancefloor

"Immer, wenn ich den Eiffelturm sehe, fühl ich mich irgendwie wie zuhause", erklärt Luna. Sie ergänzt resigniert: "Scheiße!" und macht damit deutlich, dass ihr Zuhause kein Ort ist, an dem sie sich wohlfühlt. Es ist auch nicht der Pariser Eiffelturm, den sie hier vor Augen hat, sondern ein verkleinertes, gleichwohl hohes Abbild auf dem Dach eines Feinkost-Großhandels. In Crailsheim, einem Mittelzentrum im Hohenlohischen, in dem das Eiscafé, in dem Luna mit ihren Freundinnen abhängt, nicht etwa "Café Crailsheim", sondern "Venezia" heißt.

Die sich wiederholenden vogelperspektivischen Blicke auf die Altstadt haben kaum etwas mit dem Leben der jungen Frauen zu tun, deren Geschichte sich vielmehr in austauschbaren Industrie- und Gewerbegebäuden abspielt, in Discos, auf gesichtslosen Straßen und an Bushaltestellen. Luna will ausbrechen aus der engen Provinz. Sie könnte "Berlin! Berlin! Wir fahren nach Berlin!", den Fußball-Fangesang, im Kopf haben.

Als dort ein Dance-Casting ansteht, bietet der Tänzer G, der kürzlich in Crailsheim aufgetaucht ist, ihr an: "Soll ich dich dafür trainieren?" Es gehe darum, meint G, sich etwas zu holen und nicht abserviert zu werden. Nicht hier in diesem Kaff und nicht in Berlin.

Den Tanzszenen, das wird ganz deutlich, gilt die eigentliche Aufmerksamkeit der Autorin und Regisseurin Miriam Dehne, die mit ihrer Web-Soap They call us Candy Girls zuletzt im Seichten experimentierte. Auf den Tanzböden ist sie ganz nah dran an ihren jungen Figuren. Sie tanzen in der Disco, an der Rampe, im Übungsraum vor dem Spiegel, beim Contest und andernorts, und machen auch abseits von regelrechten Tänzen entsprechende Schritte und Bewegungen. Tänzerische Regungen scheinen ihre Körper sichtlich zu durchzucken, wenn sie ihre Brust vorschnellen lassen oder ihre Arme werfen.

Little Paris ist ein Film der sehnsüchtigen, unerfüllten Mädchen und der durchtrainierten, männlichen Tänzer-Oberkörper. Ein Film, in dem gerade die unbekannten, jungen Darsteller einen guten Teil des Reizes ausmachen und den Eindruck bekräftigen, man selbst beobachte als Zuschauer wirkliche Jugendlichen, die sich neben wenigen Worten durch Tänze ausleben und ausdrücken.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/little-paris