Endlich Witwe

"Überraschung Mama, wir bleiben!"

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Anne-Marie könnte so glücklich sein, denn sie ist die Frau eines erfolgreichen Arztes, der ihr einen hohen Lebensstandard inklusive Villa mit Meerblick bietet. Leider liebt der seinen Riesenpudel mehr als sie, so dass sie nicht all zu unglücklich ist, als er plötzlich ums Leben kommt.
Das könnte endlich die Chance für Anne-Marie (Michèle Laroque) sein, mit ihrem Geliebten Léo (Jacques Gamblin) die lang ersehnte gemeinsame Zukunft anzusteuern, aber sie hat die Rechnung ohne ihre Familie gemacht. Ihr überfürsorglicher Sohn (Tom Morton) kommt sofort mit Kind und Kegel nach Marseille gereist, ebenso ihre Schwester und Schwägerin inklusive des senilen Schwiegervaters, und die trauernde Familie nistet sich ungefragt und ganz selbstverständlich in der Villa ein. Da niemand von dem heimlichen Geliebten weiß – und auch nicht erfahren soll – verstrickt sich Anne-Marie im Teufelskreis von Lügen, Ausflüchten und vorgetäuschter Trauer. Aber nicht nur ihrer Familie gegenüber betreibt sie dieses Lügenkonstrukt, sondern auch ihrem Liebhaber gegenüber. Bald weiß sie selbst nicht mehr, welche ihre wahren Gefühle und welche lediglich vorgetäuscht sind. Wird sie es schaffen, am Ende doch noch mit dem brotlosen Bootsrestaurateur Léo ein neues Leben zu beginnen oder unterwirft sie sich letztendlich doch den Konventionen?

Während in Isabelle Mergaults vorherigem Film Sie sind ein schöner Mann / Je vous trouve très beau der Mann zum Witwer wurde, ist es nun die Frau, die den Tod ihres Partners hinnehmen muss. Der Regisseurin war das beim Schreiben des Drehbuches anfänglich gar nicht bewusst, bis man sie darauf hinwies, und sie hat sich fest vorgenommen, in ihrem nächsten Film keinen Toten vorkommen zu lassen. Ob nun mit oder ohne Tote, so zeichnet sich ab, dass Mergault eine Affinität zu den Themen von zerrütteten Partnerschaften und gesellschaftlichem Erwartungsdruck hat, und es ist bewundernswert, dass sie es schafft, diese existenziellen Fragen in einer Komödie umzusetzen. Eigentlich ist das ein Stoff für eine Tragödie, bei der man am Ende mit schwerem Herzen aus dem Kino gehen und alles in Frage stellen würde. Stattdessen werden in Endlich Witwe mit einer charmanten Leichtigkeit die Konflikte des Einzelnen mit der Umwelt geschildert, die Schwierigkeiten, den eigenen Weg zu finden und nicht zuletzt werden übertriebene Familienbande und ausufernde Tierliebe thematisiert. Unter dem ganzen Humor - der bisweilen an Woody Allen erinnert - schimmert also immer eine gewisse Ernsthaftigkeit hindurch, die brisante gesellschaftliche Probleme auf ironische, bisweilen sarkastische Weise beleuchtet. Das wird einem aber erst nach dem Kinobesuch deutlich, denn während der neunzig Minuten im Kinosaal gibt man sich ganz dieser Komödie hin, ohne tiefsinnige Gedanken zu hegen. Zwar wird einem ein wenig mulmig, wenn man die Arbeitsmoral des Schönheitschirurgen und Mannes von Anne-Marie, Gilbert (Wladimir Yordanoff), sieht, der verkatert im OP-Saal beim Fettabsaugen und Lifting versehentlich zu den falschen Geräten greift. Aber dieses ungute Gefühl verfliegt ganz schnell, denn der nächste Kalauer folgt sofort.

Darin liegt denn auch die einzige Schwachstelle von Endlich Witwe, da der Humor manchmal ein wenig überhand nimmt, und es in diesem Film so gut wie keinen Dialog gibt, der nicht darauf ausgerichtet ist, zur Lachnummer zu werden. Auf Dauer ist das ein bisschen zu viel des Guten und eine Spur subtilere Heiterkeit wäre dem Film sicher zuträglich geworden. Dennoch überzeugt Endlich Witwe in seiner Gänze und lebt vom französischen Lebenscharme, der vor allem durch den Liebhaber Léo wunderbar präsentiert wird: Dreitagebart, immer ein Päckchen Zigaretten dabei, verbringt er seine Freizeit gerne mit seinen Kumpels in einer kleinen Kneipe beim Vin Rouge. Es sind auch die skurrilen Nebenrollen, die der Komödie eine humorvolle Tiefsinnigkeit geben. Sei es die greise Alkoholikerin, die schwankend ihren Pastis trinkt und etwas zielunsicher Dart spielt, oder der an Alzheimer erkrankte Schwiegervater, der die Menschen in seiner Umgebung nicht mehr erkennt, so sorgen beide Figuren für urkomische Situationen und Gelächter. Dass es bei diesen Krankheiten eigentlich nichts zu lachen gibt, liegt auf der Hand. Man tut es trotzdem, und das sogar ohne schlechtes Gewissen!

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/endlich-witwe