Zeiten des Aufruhrs

Ein Plädoyer für die Freiheit der Gedanken

Eine Filmkritik von Anne von der Gönne

Sam Mendes (American Beauty) inszeniert Richard Yates Roman Zeiten des Aufruhrs als sensibles Beziehungsdrama. Für die Darstellung dieses Psychogramms einer Ehe die an ihren ambitionierten Ansprüchen scheitert, war die überragende Schauspielleistung von Leonardo DiCaprio und Kate Winslet essentiell. Die Literaturverfilmung ist in allen wichtigen Kategorien für den Golden Globe nominiert.
Eine misslungene Theatervorstellung, höflicher Applaus. Ein junger Mann (Leonardo DiCaprio) schaut die Hauptdarstellerin (Kate Winslet), die seine Frau ist voller Liebe und gleichzeitigem Mitleid an. Sie weiß, dass sie nach dieser Premiere wieder ein paar Träume begraben werden muss, wischt sich wütend das Bühnen-Make-up aus dem Gesicht und es ist dieses "Abschminken" was zum immanenten Thema der Adaption wird.

Die Geschichte des Ehepaars Wheeler stellt die Möglichkeit eines Ausbruchs in ihr Zentrum. Unterfordert von ihrem angepassten Leben in verkrusteten Strukturen beschließen die Beiden gemeinsam den einengenden Komfort der Routinen des Vorstadtlebens im Connecticut der 50er Jahre zurückzulassen und nach Europa zu gehen.

Regisseur Sam Mendes inszeniert diesen Versuch des Abwendens des vorbestimmt scheinenden Schicksals in ruhigen eindringlichen Einstellungen. Er überzeugt immer dann, wenn er beeindruckende Bilder für die gleichschaltende Industrialisierung findet. Mendes lässt hunderte in grauen Anzügen uniformierte Männer von den sauberen Vorstädten zu ihren genormten Arbeitsplätzen fahren. Jede Intellektualität, jede Individualität wird spätestens in diesen käfigartigen Boxen zerstört. Aber auch die häusliche Falle in der April Wheeler gefangen ist, wirkt zu jeder Zeit bedrückend. Ihr Streben nach beruflicher Emanzipation, nach Leidenschaft und Inspiration wird erstickt von den Ansprüchen die ihr ihre Rolle als liebende Mutter und genügsame (Ehe-)Frau stellen. Das Leben scheint an den Wheelers ungenutzt und hoffnungsleer vorbei zu ziehen. Um sich wieder außerhalb der schwierigen Beziehung zu spüren beginnen die Ehepartner Affären die ihre Selbstsicherheit aber nur für eine kurze Zeit stärken können und die sie letztlich nur noch in einer sich immer schneller drehenden Spirale der Unzufriedenheit stürzen. In diesen Momenten bekommt der Film die unsagbare Traurigkeit von „The Hours“. Und als dann aus Streit nur noch Stille wird, jeder Abschied endgültig scheint und sich April nur scheinbar mit ihrem Schicksal abgefunden hat, stellt Sam Mendes seine Frau Kate Winslet in einen halbdunklen Wald und hier erinnern die Einstellungen seltsam an einen Film von Christian Petzold.

Eine weitere für den kommerziellen amerikanischen Film ungewöhnliche Idee ist die Figur eines gefährlich wirkenden Besuchers (Michael Shannon). Er ist ein aus der Zeit Gefallener und scheint die Gedanken des Zuschauers laut zu formulieren. Der seltsam modern wirkende Intellektuelle treibt die Geschichte allwissend unaufhaltsam voran. Er bricht völlig aus der restlichen Erzählstruktur heraus, die sich bis auf ihn auf die Visualisierung hintergründiger Konflikte beschränkt.

Zeiten des Aufruhrs ist ein Plädoyer für die Freiheit der Gedanken und gleichzeitig eine konkrete Analyse der Zwänge der kapitalistisch organisierten Gesellschaft. Durch die beeindruckende Vorlage, die hervorragende Leistung von Sam Mendes und den Darstellern ist ein echter Favorit für die anstehende "Award Season" gelungen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/zeiten-des-aufruhrs