Die ewigen Momente der Maria Larsson

Ein Leben durch die Linse

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Irgendwann in ihrem Leben entdeckt sie die Fotokamera wieder, die sie als junge Frau in einer Lotterie gewonnen hat. An diesem Punkt ist Maria Larsson (Maria Heiskanen) längst vom Leben gezeichnet. Aus wirtschaftlicher Not heraus will sie die Kamera in einem Fotoladen versetzen, um an etwas Geld zum Essen für ihre große Familie heranzukommen. Doch der Fotohändler Sebastian Pedersen (Jesper Christensen) weiß besseres damit anzufangen. Ihm liegt am Herzen, Maria die Fotografie beizubringen und ihr dafür kostenlos Material zur Verfügung zu stellen. Maria willigt ein und entdeckt ein verborgenes Talent in ihr.
Für den mittlerweile 78-jährigen schwedischen Regisseur Jan Troell, der 1973 für die Romanverfilmung Die Emigranten als erster Schwede für den Regie-Oscar nominiert war, war diese Geschichte eine Herzensangelegenheit. Denn sie beruht auf einer wahren Begebenheit und spielte sich in seiner Heimatstadt ab. Das Drehbuch ist das späte Ergebnis einer lang zurück liegenden Begegnung. Bereits in den achtziger Jahren traf seine Frau Agneta Ulfsäter-Troell ihre Verwandte Maja, die wiederum die älteste Tochter von Maria ist. Von ihr erfuhr sie die Geschichte ihrer Mutter, die im Laufe ihres Lebens sieben Kinder auf die Welt gebracht hatte. Ihr trostloses Leben in ärmlichen Verhältnissen mit einem Mann als Säufer und Ehebrecher wurde durch die Fotografie immer wieder aufgehellt. Troells Ehefrau war so sehr von der Geschichte beeindruckt, dass sie ein Buch darüber schrieb. Jan Troell, selbst seit frühester Jungend ein großer Bewunderer der Fotografie, erwarb die Filmerechte unter anderen auch, weil der Stoff ganz besonderes Material über das Leben im Schweden des frühen 20. Jahrhunderts bot.

Es ist die Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Die Arbeit ist knapp und die Armut groß. Maria kämpft sich tagein, tagaus aufs Neue durch. Doch alles wäre halbwegs gut, wenn ihr Mann Sigfrid Larsson nicht so ein elender Säufer wäre. In seinem Rausch demütigt er nicht nur die ganze Familie, sondern wird auch handgreiflich seiner Frau und seinen Kindern gegenüber. Maria ist unglücklich und stark zugleich. Sie bleibt bei ihm, eine andere Wahl hat sie kaum. Obwohl sie es auch allein mit den Kindern schaffen würde, hält sie immer wieder zu ihm. Außerdem wäre es eine Schande, ihren Mann zu verlassen – so hätte es Gott nicht gewollt, hört sie immer noch ihren längst verstorbenen Vater sagen. So hält sie sich immer wieder an den schönen Dingen des Lebens fest, ist gut zu ihren Kindern und zelebriert die Fotografie.

Maria ist zu bewundern. Wie sie es schafft, ihre sieben Kinder und den Haushalt zu versorgen und mitten in der Nacht, wenn ihr Mann seinen Rausch ausschläft, ihre Fotos in der Dunkelkammer zu entwickeln. Nie verzweifelt sie, gibt nicht auf, macht immer weiter. Wo die Frau von heute gar mit einem Kind und dem ganzen Haushalt schon längst überfordert wäre. Der Film zeigt auf wunderbare Weise wie wichtig es doch ist, etwas im Leben zu haben, was über dem Alltag steht, sei es ein Hobby oder eine Leidenschaft. Denn nur dann sieht man die Welt um sich herum auch mal mit anderen Augen. Fotografieren war in der damaligen Zeit absolut revolutionär und einzigartig. Und so zog Maria auch immer mehr Aufmerksamkeit auf sich. Die Nachbarn standen Schlange, um sich von ihr fotografieren zu lassen.

Jan Troell ist neben dem verstorbenen Ingmar Bergman einer der bedeutendsten skandinavischen Regisseure. Der Schwede, der 1966 seinen ersten Spielfilm drehte, ist für seine zurückhaltenden Rhythmen bekannt. In seinen wohl bislang bekanntesten Filmen zeichnet Troell ein schonungsloses Bild vom Schicksal schwedischer Auswanderer, die Mitte des 19. Jahrhunderts ihr Glück in Amerika machen wollen: Die Emigranten (1971) und Das Neue Land (1972). Die Filme begründeten seinen Ruf als Regisseur, der sich aufrichtig und auf humane Weise dem Schicksal seiner Charaktere annimmt. Genau das hat er fast vierzig Jahre später auch mit seinem neuesten Film geschafft.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-ewigen-momente-der-maria-larsson