John Rabe

Der gute Nazi von Nanjing

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

In jedem Film, zumindest in jedem guten, gibt es ein zentrales Bild, eine Szene, die die Essenz der Story eindrücklich abbildet. In Florian Gallenbergers Film John Rabe, der auf historischen Fakten beruht, ist diese Szene eindeutig jene, in der Menschen vor einem japanischen Bombenangriff in Nanjing unter das schützende Dach einer Hakenkreuzfahne flüchten und so verschont bleiben, weil sich die Piloten nicht trauen, die Fahne des Verbündeten zu bombardieren. Ganz gleich, wer oder was sich darunter befindet. Der Mann, dem der rettende Einfall mit der Fahne kommt, ist John Rabe, der in den folgenden Wochen und Monaten zu einem stillen Helden wird und vielen Tausenden Zivilisten das Leben rettet. Dieser Film erzählt seine Geschichte und erinnert an einen Mann, der heute noch in China verehrt wird, während sich die japanische Regierung bis zum heutigen Tag über das wahre Ausmaß des Massakers von Nanjing während des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges ausschweigt.
Eigentlich ist John Rabe (Ulrich Tukur) in jenen Wintertagen des Jahres 1937 dabei, die Koffer zu packen. Nach mehr als 30 Jahren als Leiter der Siemens-Niederlassung in der damaligen chinesischen Hauptstadt Nanjing, wird er nach München zurückbeordert und soll die Leitung des Werkes seinem Nachfolger Werner Fliess (Mathias Herrmann) übergeben. Der entpuppt sich allerdings als lupenreiner Nazi und lässt kaum einen Zweifel daran, dass die Niederlassung unter seiner Ägide geschlossen werden soll – Rabe sieht sich um sein Lebenswerk gebracht und ist schlichtweg entsetzt. Zumal die Zeiten unruhig sind, seit dem 7. Juli des Jahres tobt der Zweite Japanisch-Chinesische Krieg, die kaiserlichen japanischen Truppen haben bereits Shanghai eingenommen und stehen vor den Toren Nanjings. Als ausgerechnet während des Abschiedsdinners für John Rabe die japanische Luftwaffe Nanjing angreift und Panik ausbricht, ist der Siemensianer der Einzige, der kühlen Kopf bewahrt. Er öffnet die Tore des Werkes für die chinesischen Zivilisten, die Schutz vor den Bomben suchen, er hat die rettende Idee mit der (sonst sorgsam verpackten) Hakenkreuzfahne.

Am nächsten Morgen beraten der deutsch-jüdische Diplomat Dr. Rosen (Daniel Brühl), die Leiterin der Mädchenschule Valérie Dupres (Anne Consigny), der Chefarzt Dr. Wilson (Steve Buscemi) und andere Ausländer, wie man das Leid der Bevölkerung lindern könne. Rosen berichtet von den Erfahrungen einer Schutzzone in Shanghai und plädiert dafür, eine solche auch in Shanghai einzurichten. Vorsitzender der Einrichtung soll John Rabe werden, der als Deutscher gewissermaßen ein Verbündeter der Invasoren ist. Rabe lehnt zunächst mit Hinweis auf seine Abberufung ab, entschließt sich aber im letzten Moment dazu, die Aufgabe doch zu übernehmen. Eine Entscheidung, die ihm ganz unmittelbar einen großen persönlichen Verlust einbringt: Denn vor Rabes Augen wird das Schiff, auf dem er eigentlich Nanjing verlassen sollte und auf dem nun seine Frau (Dagmar Manzel) allein davonfährt, von japanischen Fliegern bombardiert und versinkt in den Fluten des Jangtse. Zuerst geschockt konzentriert sich Rabe schon bald mit seinen Helfern auf die Einrichtung der Schutzzone und riskiert dabei immer wieder sein Leben...

Natürlich denkt man bei John Rabe immer wieder an einen anderen Film, der von einem Deutschen berichtet, der in den Wirren des Zweiten Weltkrieges unter Einsatz seines Lebens Zivilisten rettete – die Rede ist von Steven Spielbergs Film Schindler’s List. Und tatsächlich ähneln sich die beiden Filme nicht nur aufgrund der Taten der beiden Protagonisten, sondern auch in weiteren Punkten: Beide, Schindler wie auch Rabe waren Parteimitglieder der NSDAP, beide starben nach dem Krieg in Armut und Einsamkeit und gerieten zumindest in Deutschland weitgehend in Vergessenheit, während sie in Israel und in China als Helden verehrt wurden. Und die Ähnlichkeiten lassen sich noch weiterführen: Der Talmud-Spruch "Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt" findet in beiden Filmen Erwähnung. Kein Wunder also, dass auch die Inszenierung den Schulterschluss mit Steven Spielbergs vielleicht persönlichstem und bewegendstem Film sucht und deshalb die Erzählformen Hollywoods nachahmt. Ein Unternehmen, das nur teilweise gelingt.

Wenig bis gar nicht beleuchtet wird Rabes Mitgliedschaft in der Partei. Der Film baut ihn von Anfang an als Widerpart zu seinem Nachfolger auf, der nach bestem Wissen und Gewissen an die guten Seiten des Nationalsozialismus glaubt und Bittbriefe an den Führer schreibt, in denen er von den Grausamkeiten der japanischen Truppen gegenüber den Chinesen berichtet und um Hilfe bittet. Seine chinesischen Untergebenen behandelt Rabe mit geradezu väterlicher Fürsorge, denen er auch noch nach zig Jahren vergeblich versucht, das Anklopfen beizubringen. Das hat kaum etwas vom Verhalten eines Herrenmenschen an sich, sondern wirkt viel eher wie die joviale Autorität eines patriarchalischen Unternehmensführers. Auch im Herrenclub der NSDAP-Ortsgruppe geht es – zumindest bis zum Eintreffen von Rabes Nachfolger – recht unpolitisch und beinahe gemütlich zu. Kein Wunder also, dass man Tukur die Wandlung zum stillen Helden von Nanjing abnimmt. Doch zugleich fehlt es der Figur dadurch ein wenig an Spannung und Zerrissenheit, wirkt Rabe – trotz des Verlustes seiner Frau – zu flach und statisch. Hier hätte man mit Sicherheit mehr aus der Figur herausholen können.

Inszenatorisch ambitioniert und teilweise von erstaunlichem Niveau bei den Massenszenen, sind es vor allem die unangenehm dramatisierende Musik und die Sidekicks der Story, die unangenehm ins Gewicht fallen und dafür sorgen, dass der Film dann doch recht lang und ein wenig ermüdend wirkt. Die Liebesgeschichte zwischen dem Diplomaten Rosen und der Schülerin Langshu (Zhang Jingchu) ist vollkommen unnötig und hätte gut und gerne weggelassen werden können. Dem Film, der mit seinen 130 Minuten zu lang geraten ist, hätte dies mit Sicherheit keinen Abbruch getan – im Gegenteil. So aber verliert der Film immer wieder seinen Protagonisten aus den Augen und ist gefährlich nahe dran, zu einem schablonenhaften Epos zu werden, das zu sehr nach den großen Vorbildern aus den USA schielt. Gut möglich, dass wir demnächst dem Namen Florian Gallenberger wieder auf der Leinwand begegnen – als Regisseur eines Films "made in Hollywood". Der Film jedenfalls wirkt teilweise wie eine Art Bewerrbungsschreiben für die großen Studios.

Sein filmisches Denkmal für den "deutschen lebenden Buddha" (diesen Ehrentitel haben die Chinesen John Rabe zugedacht) ist solide inszeniertes und in einigen Szenen wirklich packendes und hoch emotionales Kino im Breitwandformat, das sich vor ähnlichen Produktionen aus den USA nicht zu verstecken braucht. Ob er der Person John Rabe aber gerecht wird, darüber kann man geteilter Meinung sein. An den historischen Fakten besteht wenig Zweifel, der Mensch John Rabe aber wird trotz der Tagebucheinträge, auf denen das Werk basiert, wenig greifbar. Vielleicht sorgt der Film ja immerhin dafür, dass der Mann, der 200.000 Chinesen das Leben rettete, auch hierzulande so etwas wie eine späte Genugtuung erlebt. Verdient hätte er es ohne Zweifel.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/john-rabe