Hilde

Sie hatte neun Leben - mindestens

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Sie wollte alles oder nichts. Und bekam beides. Hildegard Knef war Weltstar und "Schande für Deutschland", gefragt in Hollywood und drei Jahre ohne Beschäftigung, gefeiert und geschmäht. Ein wenig trifft das Risiko des Höhenflugs auch auf Hilde, den Film, zu. Die Kino-Biografie der ersten Hälfte ihres Lebens bis Anfang 40 will viel und stürzt manchmal ab. Dennoch gelingen der Knef-Darstellerin Heike Makatsch intensive Szenen einer Frau, für die es keineswegs nur bergab ging.
"Du hast neun Leben", sagt ihr zweiter Ehemann David Cameron einmal zu ihr. Da ist sie gerade mal 37 und hat die unglaublichsten Höhen und Tiefen hinter sich: Geliebte eines ranghohen Nazis, als Mann verkleidet beim Volkssturm, nach dem Krieg Ehefrau eines Juden, erster Filmstar der Nachkriegszeit in Die Mörder sind unter uns (1946) und sofort vom berühmten Hollywood-Produzenten David O. Selznick eingekauft, aber in einen goldenen Käfig gesperrt. Zurück in Deutschland, wird sie von der aufgebrachten Volksseele gleich in ihrer ersten neuen Rolle wegen einer Nacktszene angefeindet. Erneut in Amerika, macht sie die ersehnte Karriere und wird trotzdem nicht glücklich.

Es ist also wieder mal eine gefühlsbeladene Rückkehr, als Hildegard Knef 1966 mit dem Flieger in "ihr" Berlin einschwebt, um als erste Unterhaltungskünstlerin ein Konzert in der Philharmonie zu geben: ein denkwürdiger, umjubelter Abend. Zum ersten Mal singt sie "Für mich soll’s rote Rosen regnen", das ebenso lebenshungrige wie lebensweise Bekenntnis zu den schönen und gefährlichen Seiten ihrer Größenfantasien.

Mit der Rahmenhandlung des Konzerts setzt der Film ein. Dann blendet er zurück ins Jahr 1943, als Hilde sich bei der Babelsberger Filmschule als Schauspielerin bewirbt. Der Rest ist Chronologie – und somit eine Menge Stoff. Ihn bewältigt Regisseur Kai Wessel, der zuletzt den Fernseh-Zweiteiler Die Flucht gedreht hat, nicht immer ganz souverän. Zuweilen gerät die Erzählweise unter einem fragwürdigen Vollständigkeitsanspruch ins Überdeutliche, fast Didaktische. Etwa wenn Hildes erster Ehemann minutenlang wie ein getretener Hund agiert und dann die Scheidung mit den Worten kommentiert: "Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan". Oder wenn der Hollywood-Produzent penetrant mit drei Telefonhörern jongliert und dabei noch Mittel und Wege findet, um Hilde an die Wäsche zu gehen. In solchen Szenen heizt die Regie das Dokudrama mit allzu simpler melodramatischer Symbolik auf. Hollywood ist dann einfach nur voller Palmen und Berlin voller Trümmer. Episode reiht sich an Episode, ohne erkennbaren übergreifenden Gestaltungswillen.

Trotzdem gibt es etwas, was den Film zusammenhält. Es ist die beeindruckend offene, sich schutzlos ausliefernde Kombination von Frechheit und Verletzlichkeit, mit der Hilde durchs Leben geht. Besonders in Hildes jungen Jahren trifft Heike Makatsch diesen Ton, der ja auch ihr eigener ist. Dann hat sie diesen erfrischend herausfordernden Blick, dieses kehlige Lachen, das so gut zu den zwei Worten passt, die Hildes innerster Antrieb waren: ich will. Komme, was da wolle.

In ihren Liedern habe sie die Knef am besten verstanden, sagt Heike Makatsch, die die Chansons selbst singt. Und so ist es kein Wunder, dass die Liedpassagen zu den gelungensten Momenten dieser mehr als zweistündigen Biografie zählen. Sie sei die größte Sängerin ohne Stimme, hat Ella Fitzgerald über Hildegard Knef gesagt. Das war als Kompliment gemeint. Ein Kompliment an eine bis heute faszinierende, weil letztlich unergründliche Persönlichkeit. Wer ist Hildegard Knef, diese Frage hat den deutschen Weltstar zeitlebens angetrieben. Zum Glück gibt es darauf keine letzte Antwort.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/hilde