Rage

Berlinale 2009: Wettbewerb

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Experimentell wurde es beim Wettbewerbsbeitrag Rage von Sally Potter, die in ihrem Film die Londoner Modebranche aufs Korn nimmt. Mit einem erstklassigen Ensemble, bei dem vor allem Steve Buscemi, Dame Judi Dench und Jude Law als Drag Queen sowie Diane Wiest zu den bekannten Namen zählen, berichtet sie anhand eines angeblich mit einer Handycam gefilmten Tagebuchs eines Praktikanten namens Michelangelo von sieben Tagen innerhalb einer Modefirma. Vor der Kamera des Praktikanten und in Interview-Situationen öffnen sie sich alle, schütten ihr Herz aus und geben sich ihrem Narzissmus und ihren Lebenslügen hin, bis diese durch die realen und durch die Interviews beschleunigten Ereignisse vollkommen aus dem Tritt geraten.
Denkbar spartanisch ist das Setting zu diesem Film: Eine Person, ein farbiger Hintergrund, der mit dem Charakter des Interviewten korrespondiert und eine mehr oder minder starre Kamera, die höchstens einmal näher herangeht oder kippt, wenn die Situation es erfordert. Was anfangs ganz erfrischend und neu wirkt, nutzt sich aber im Laufe des Filmes auch aufgrund der überzeichneten Figuren schnell ab. 99 Minuten geraten da schnell zu einer Ewigkeit, zumal sich die ganzen behaupteten unglaublichen Vorgänge (zwei Models sterben, es kommt zu Demonstrationen, die schließlich sogar zu einer wilden Schießerei führen) im Off abspielen und das Ganze wie ein Hörspiel mit Bilderuntermalung oder wie eine Schauspielübung erscheinen lassen.

Rage ist in erster Linie ein Experiment aus dem Laboratorium neuer Erzählformen, das durchaus – trotz der Pfiffe des Publikums – neue Wege aufzeigen kann. Störend sind nämlich nicht die Form oder die neue Ästhetik des Films, sondern dramaturgische Schwächen, Übertreibungen und die Klischeehaftigkeit der Figuren – das Handwerkszeug eines Filmemachers also. Dass Sally Potter gerade das eigentlich beherrscht, hat sie unter Beweis gestellt. Wie in ihrem letzten Film Yes aber scheint sie auch hier so berauscht von ihrer eigenen Idee gewesen zu sein, dass alles Andere darüber in Vergessenheit geriet. Schade, dass so viel Mut dann so bestraft wurde.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/rage