Phantomschmerz (2009)

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Til Schweiger in der Rolle eines Womanizers ist nichts Ungewöhnliches, auch als cooler Typ, der immer einen lockeren Spruch auf den Lippen hat, ist er schon oft in Erscheinung getreten. Aber als beinamputierter und langhaariger Rennradfahrer? Was fast unmöglich scheint, ist dem Regisseur Matthias Emcke gelungen, dessen Tragik-Komödie ihren Ursprung in einer realen Geschichte hat.

Marc Somner (Til Schweiger) hat vor allem zwei Leidenschaften in seinem Leben: Rennräder und Frauen. Während er ersteren sein Leben lang treu verhaftet ist, begnügt er sich bei Frauen mit One-Night-Stands oder kurzen Affairen. Die Liebe zum Radsport geht tiefer, als jede zwischenmenschliche Beziehung. Dennoch gibt es zwei Menschen, denen Marc einen besonderen Platz in seinem Leben einräumt, da sie ihm seine kleinen Fehlerchen und Marotten verzeihen. Zum einen ist das seine 12-jährige Tochter Sarah (Luna Schweiger), die ihn abgöttisch liebt und nur zwischendurch mal verzweifelt, wenn er wieder einmal vergessen hat, sie von der Schule abzuholen, oder wenn er sich standhaft weigert, ihr beim Schreiben von Gedichten zu helfen. Der andere Fixpunkt in seinem Leben ist Alexander (Stipe Erceg), sein bester Freund, der im Gegensatz zu Marc einen coolen Job hat und extrem erfolgreich ist. Dank Alexander kann sich Marc auch immer wieder aus finanziellen Engpässen hinausmanövrieren, da seine vielen Gelegenheitsjobs kaum das Nötigste abdecken. Natürlich kommt es, wie es kommen muss. Eine Frau trifft unverhofft in sein chaotisches Leben und verdreht dem bislang Treulosen gehörig Herz und Hirn. Nika (Jana Pallaske) entdeckt eine literarische Ader bei Marc, der sich in seinem Freundeskreis auch als Geschichtenerzähler beliebt gemacht hat, und arrangiert ein Treffen mit einem Literaturagenten. Marc scheint aber in diesem Punkt seine Schreibblockade weiter aufrecht halten zu wollen und erscheint nicht am geplanten Treffpunkt. Stattdessen fährt er mit seinem Motorroller über die Landstraße, und es kommt zu einem folgenschweren Unfall, infolge dessen Marc das linke Bein amputiert werden muss. Letztendlich bedeutet für ihn diese Krise eine neue Chance, die er allerdings erst spät ergreift.

Was vom Plot melodramatisch klingt, ist es letztendlich auch. Matthias Emcke hat mit seinem Spielfilmregiedebüt Phantomschmerz seinem langjährigen kanadischen Freund Stephen Sumner ein Denkmal gesetzt, dessen Geschichte fast zu konstruiert klingt, als dass sie wahr wäre. Aber – durch einige dichterische Freiheiten ergänzt - hat sich dieses Drama wohl so in der Vergangenheit abgespielt, und tatsächlich schreit solch ein Stoff nach einer Verfilmung. Til Schweiger in der Rolle des Nichtsnutzes und liebenswerten Radfanatikers, der ungewohnt langmähnig daherkommt, beweist in dieser Tragik-Komödie, dass er größere schauspielerische Talente als die des Witzboldes oder Action-Heldens drauf hat. Er präsentiert in Emckes Film die Schnittmenge seines bisherigen Schaffens, und das, obwohl er anfangs skeptisch war, die Figur des Marcs darstellen zu können. Aber Schweiger schafft es, denn er vermittelt glaubwürdig den zerrissenen und ziellosen Abenteurer, den liebenden aber überforderten Vater und den von Phantomschmerzen geplagten Marc. Der Frust und die Ohnmacht nach der Amputation, das Ertränken der Sorgen mit Alkohol und die Ziellosigkeit können letztendlich durch die Bindungen zu seiner Tochter und seiner Liebe zu Nika überwunden werden.

Emcke hat Phantomschmerz nicht als reines Drama entwickelt, sondern als Tragik-Komödie, die dem Zuschauer glücklicherweise einen absoluten emotionalen Absturz im Kinosaal erspart. Dennoch gibt es genügend Szenen, die als Tränenbeschleuniger dienen, beispielsweise als Marc aus dem künstlichen Koma geholt wird, damit sein bester Freund Alexander die Einwilligung zur Amputation von Marc einholen kann. Stipe Erceg spielt hier sensibel und ergreifend, und auch die Szenen mit Marcs Tochter Sarah berühren besonders, vor allem da man weiß, dass die Filmtochter auch die wahre Tochter Til Schweigers ist.

Phantomschmerz ist tränenreiches Kino, das sich aus Lachen und Weinen generiert, und das vor allem Mut macht, nach solchen Schicksalsschlägen nicht den Mut am Weiterleben zu verlieren. Auch der Soundtrack ist mehr als überzeugend, und durch den Titelsong von Sia "Breathe me" werden die Emotionen noch einmal künstlich ins Unermessliche gesteigert.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/phantomschmerz-2009