Mein halbes Leben

Woody Allen trifft auf Herrn Lehmann

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Dreißig zu werden, hat schon manch einen in eine gehörige Lebenskrise gestürzt. So auch Marko Doringer, der dem körperlichen Verfall anhand eines ausgefallenen Backenzahnes und einer neuen Brille ausgesetzt ist. Auch mit den Frauen scheint es nicht wirklich zu klappen, vom Erfolg im Beruf ganz zu schweigen. Und wenn Udo Jürgens einst postuliert hat, dass mit 66 Jahren das Leben erst anfängt, so zeigt der österreichische Regisseur mit seinem Selbstportrait, dass mit dreißig der Zug schon längst abgefahren ist ...
Die Standortbestimmung von Marko Doringer, gerade dreißig geworden, sieht vernichtend aus: Keine Ausbildung, kein abgeschlossenes Studium, die kreative Arbeit will auch nicht so recht von der Hand und er hat weder eine Freundin, noch eine Ehefrau, geschweige denn ein Haus gebaut und ein Kind gezeugt. Die Midlifecrisis setzt bei dem Wahlberliner extrem früh ein, und er begibt sich auf die Suche nach dem ultimativen Erfolgskonzept für das Leben. Wer bietet sich da besser an, als Freunde und eine verflossene Geliebte aus seiner Vergangenheit? Die sind scheinbar wesentlich erfolgreicher als er, denn deren berufliches Spektrum reicht vom vielgelesenen Sportjournalisten mit Festanstellung über den karrierebewussten Wirtschaftswissenschaftler bis hin zur preisgekürten Modedesignerin. Dennoch verbindet alle eines, nämlich das Hadern mit dem eigenen beruflichen und privaten Schicksal. Selbst der Nachwuchs, der sich bei einigen von ihnen bereits eingestellt hat, scheint nicht die Erfüllung des Lebens zu sein. Eine Generation von Egoisten, die an ihren Freiheiten zugrunde geht - so hat man den Eindruck. Auch die Eltern kommen zu Wort, die stellenweise neidvoll auf ihre Sprösslinge blicken, die deren enges Korsett nie kennen gelernt haben. Antiautoritäre Erziehung, ein behütetes Elternhaus, akademische Ausbildung – an nichts hat es dem Nachwuchs gefehlt. Die ältere Generation kann die Sorgen eines Marko Doringers nicht nachvollziehen. Warum bloß bringt der Junge sein Studium nicht zu Ende? Wieso zieht es ihn in die O-Straße nach Berlin, wo doch in Österreich alles zum Glücklichsein und Karrieremachen vorhanden ist, und weshalb bekommt das Kind sein Leben nicht in den Griff? Luxusprobleme einer verhätschelten Generation, die lediglich die Qual der Wahl hat – jedenfalls nach Meinung der Eltern.

Ob Marko Doringer die Dinge wirklich ernst meint, die er da vor bzw. hinter der Kamera von sich gibt, bleibt offen. Fast ist es so, als würde Woody Allen auf den Herrn Lehmann von Sven Regener treffen. Nabelschau, Psychotherapie und Selbstzweifel gehen Hand in Hand mit Größenwahn, Rebellentum und Künstlerattitüde. Und Doringer macht das phantastisch. Selten hat das Publikum so gelacht bei einem eigentlich ernsthaften Thema. Die Selbstironie, die der Regisseur und Hauptdarsteller in einem von sich gibt, ist tatsächlich zum Brüllen komisch. Ob nun bewusst inszeniert oder zufällig von sich gegeben, so lebt der Film von der Situationskomik, vom verzweifelten Bemühen der älteren Generation, den Jungen etwas Sinnvolles mit auf den Weg zu geben. Konsequent wird Doringers Gesicht nicht von der Kamera eingefangen, sondern der Zuschauer erlebt die Welt durch dessen Augen. Lediglich beim Psychotherapeuten wird die Kamera unerbittlich –bisweilen aus der Froschperspektive – auf den Zukunftsunwilligen gehalten. Ist das nun ein Dokumentarfilm über die Generation der Thirtysomethings? Oder doch ein genreübergreifender Streifen, der quasi als eine Art Entwicklungsroman herhält?

Wie auch immer man Mein halbes Leben einordnen will, so sorgen die lebensphilosophischen Diskurse des Marko D. für extreme Heiterkeit. Durchgehend hält Doringer das Trottelimage aufrecht, kommt zu keinem wirklich überzeugenden Ergebnis bei seiner Forschungsreise und findet auch bei seinen Freunden und seiner Ex keine ultimativen Antworten auf seine vielen Fragen. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass das Leben für jeden ein Kampf ist, selbst wenn manch einer von außen betrachtet auf der Sonnenseite steht. Denn was für den einen ein erstrebenswertes Ziel ist, bedeutet für den anderen ein Leben in Ketten. Wollen wir sehen, was Marko mit sechzig für einen Film macht. Phantasie hat der Mann auf jeden Fall!

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/mein-halbes-leben