Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen

Von Kräutern und Visionen

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Bereits als Achtjährige wurde Hildegard in ein Kloster gesteckt und konnte dort ihre Begabungen in der Musik, Literatur und Kräuterkunde ausbauen und unter Beweis stellen. Vor allem war sie aber unbequem und stellte das herrschende klerikale System in Frage. Dass dies nicht auf Zuspruch der Mächtigen stieß, lag auf der Hand. Allerdings hatte sie auch immer wieder Förderer, die ihren eigenwilligen und innovativen Gedanken Glauben schenkten und dadurch halfen, dass auch achthundert Jahre nach ihrem Tod uns ihr Name noch geläufig ist.
Margarethe von Trotta erzählt die Lebensgeschichte der Hildegard von Bingen (Barbara Sukowa), die nicht nur Anhänger hatte, wie ihre "Ersatzmutter" Jutta von Sponheim (Mareile Blendl), ihre "Ersatztochter" Richardis von Stade (Hannah Herzsprung) oder den ihr treu ergebenen Benediktinermönch Volmar (Heino Ferch). Nein, denn sie gerät in die klösterlichen Machtkämpfe des Abts Kuno (Alexander Held), der ihr viele Steine in den Weg legt, als sie 1150 ein eigenes Frauenkloster gründen will. Auch dass sie – als Frau! – Visionen hat, und damit ihre männlichen Glaubensbrüder diskreditiert, bringt sie fast zum Stürzen. Glücklicherweise bekommt sie immer wieder Hilfe von einflussreichen Leuten, so dass sie letztendlich doch ihre Pläne umsetzen kann. Einzig die übertriebene Liebe zu Richardis könnte ein Makel auf dem Antlitz dieser visionären Frau des Mittelalters sein ...

Was hätte man nicht alles aus diesem Film machen können. Die beeindruckende Lebensgeschichte der Hildegard von Bingen, gepaart mit großartigen Schauspielern und einer beeindruckenden Regisseurin hätten dieser Idee zu etwas ganz Großem gereicht, aber es hat nicht sollen sein! Stattdessen: Langatmigkeit gepaart mit fehlendem Spannungsbogen, marginaler Dramaturgie und stellenweise schauspielerischer Fehlbesetzung, haben den Ansatz als gut, aber die Ausführung als weniger gut erwiesen. Vor allem Heino Ferch als Mönch Volmar erweist sich als unglaubwürdig, denn der, den man vor allem in markant-männlichen Rollen verortet, soll nun den friedvollen Mönch repräsentieren. Bei den Zuschauern hat dies vor allem zu Gelächter geführt – immerhin etwas. Der Film zieht sich unendlich hin, man schaut auf die Uhr, und das Ende ist noch lange nicht in Sicht. Glücklicherweise gibt es Axel Block an der Kamera, der das schwierige Unterfangen hatte, optisch fast identische Nonnen abzulichten und somit nicht all zu viel Spielraum hatte. Dass er es trotzdem schaffte, dem Film eine anspruchsvolle, bisweilen spannende Note zu verleihen, sei ihm hoch anzurechnen. Er rettet sozusagen das etwas langatmige Drehbuch und schafft es mit seiner Sicht der Dinge, eine spannende Frauengestalt auch spannend darzustellen. Da sind immer wieder die Close-ups der Schauspielerinnen, die er durch feine Nuancen mit seiner Kamera zu großen Individuen aufbaut, die oftmals schräg eingefangenen Szenen, die dem ganzen eine gemäldeartige Atmosphäre verleihen und vor allem die wunderschönen Innenansichten des Klosters, die Kreuzgänge oder die inszenierten Haltungen der Nonnen beim Beten oder Geißeln, untermalt mit Originalkompositionen der Hildegard von Bingen, machen den Film dann doch sehenswert.

Neben der fantastischen Kameraarbeit liegt ein Großteil des Rettungsverdienstes bei Barbara Sukowa in der Hauptrolle, die unter der Nonnentracht eine unglaubliche Präsenz einnimmt. Sie wurde extrem gut beim Casting ausgesucht und geht vollkommen in ihrer Rolle auf. Warum aber Heino Ferch einen geläuterten Mönch abgeben muss - den ihm niemand abnimmt - bleibt unverständlich. Er ist einzig authentisch, wenn er im Film den Bösewicht bei einer Theateraufführung darstellt. Aber mit Tonsur, Keuschheitsgelübde und betenden Händen wirkt er einfach nur komisch. Auch die filmische Umsetzung der Visionen, die Hildegard von Bingen seit frühester Kindheit hatte, sind nicht immer überzeugend und bleiben zu sehr an der Oberfläche. Ein weiterer Minuspunkt bei Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen sind die zeitlichen Brüche, die sich natürlich nicht vermeiden lassen bei einer Biografie, die sich über siebzig Jahre erstreckt. Aber der Sprung von einem Ereignis zum anderen, von einem Jahrzehnt zum nächsten, wirkt insgesamt ein wenig abgehackt und assoziativ. Hier hätte man vielleicht Abhilfe schaffen können, indem man das Leben Hildegards in Episodenform angelegt hätte.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/vision-aus-dem-leben-der-hildegard-von-bingen