Looking for Eric

Postbote trifft Fußballstar

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Was tut ein gebeutelter, in die Jahre gekommener Postbote, der kurz vor dem Abgrund steht? Einer, der seinen Job und sein Leben längst nicht mehr auf die Reihe bekommt und neuerdings auch die Kontrolle über sein Auto verliert? Er raucht einen Joint. Und während er diesen Joint raucht und bewundernd auf ein lebensgroßes Fanposter blickt, hört er plötzlich eine Stimme und sieht den Star en persona hinter sich. So verhält es sich zumindest in Ken Loachs wunderbaren neuen Film Looking For Eric, der in Cannes dieses Jahr Weltpremiere feierte und dort mit Begeisterung aufgenommen wurde.
Der Postbote in der Krise ist Eric Bishop (Steve Evets) aus Manchester, der vor gut 25 Jahren seine erste große Liebe Lily (Stephanie Bishop) samt Tochter Sam (Lucy-Jo Hudson) sitzen ließ und dies heute bitter bereut. Zu seiner Tochter hat er allerdings noch ein ausgezeichnetes Verhältnis – sogar so gut, dass sie ihm immer wieder ihr Baby anvertraut. Lily hat er allerdings seit damals nicht mehr gesehen. Nach einer zweiten gescheiterten Ehe lebt er mit seinen beiden Stiefsöhnen eher neben- statt miteinander unter einem Dach. Es geht laut, dreckig und chaotisch zu.

Der Star auf dem Fanposter ist der französische Fußballspieler Eric Cantona, der 1992 zu Manchester United wechselte, wo er sich als Torjäger und Kung-Fu-Meister schnell einen Namen machte. Für jeden ManU-Fan war Cantona in den 1990ern der absolute Star. In weniger als fünf Jahren hat er für die englische Mannschaft mehr als 80 Tore geschossen. Wegen seiner rabiaten Art wurden ihm allerdings immer wieder Spielverbote und Disziplinarastrafen erteilt. Cantona spielt sich übrigens selbst.

Eric und Eric treffen also aufeinander. Der eine sitzt in der Sackgasse, der andere zieht ihn heraus. Es gibt so einiges aufzuräumen. Da ist Erics Liebesgeschichte mit Lily, die niemals eine sein durfte und nach einem Vierteljahrhundert noch einmal Relevanz bekommt. Da ist der in kriminellen Machenschaften verwickelte Stiefsohn Ryan (Gerard Kearns), der für VIP-Fußballtickets eine Pistole versteckt. Und da ist ein Job bei der Post, den Eric kaum noch erledigt bekommt. Während Eric Nummer 1 vor Kummer verzweifelt, bringt Eric Nummer 2 ihn dazu, sich seinen Ängsten zu stellen. Dafür hat er so einige Weißheiten auf Lager. Kostprobe: "Ohne Gefahr können wir die Gefahr nicht überwinden." Eine gute Medizin für Erics Kummer, den übrigens auch seine Kumpels köstlich zu beseitigen wissen.

All das spielt sich – ganz klassisch Ken Loach – im britischen Arbeitermilieu ab. Loach mag zwar einer der produktivsten Regisseure sein, fast jedes Jahr dreht er einen Film, aber er bleibt sich seinem Stil und seinen Themen treu: Soziale Familiendramen, Milieustudien, Überlebenskämpfe, von Menschen, die nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Das war so bei seinem Debütfilm Cathy Come Home 1966, der von einem jungen Paar erzählt, das erst Job, dann Heim und schließlich auch seine Kinder verliert. Und das war auch so bei seinem letzten Film It’s a Free World (2007) über die schmutzigen Sümpfe und Abgründe der illegalen Arbeitswelt.

Loach, der in Oxford Jura studiert hat, fungiert als Regisseur immer als eine Art Anwalt der kleinen Leute, der Arbeiter und der Abtrünnigen. Er verteidigt ihre Rechte, auch wenn sie manchmal keine zu haben scheinen. Er stellt sich auf ihre Seite und viel besser noch, er gibt ihnen eine zweite Chance. Seine Filme sind mal warmherzige und heitere Geschichte, mal bittere und traurige Storys – immer ganz nah am Leben dran. Es sind politische, parteiische und sehr persönliche Arbeiten, die meist soziale Missstände anklagen. Loachs Filme berühren einen nicht zuletzt deshalb, weil sie auch gute und eindringliche Geschichten erzählen, die einen immer wieder bewusst werden lassen, wo man selbst im Leben steht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/looking-for-eric