Pink

Die märchenhafte Mathematik der Liebe

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Geschichte klingt wie ein Märchen. Und in gewisser Weise ist sie das auch. Pink, der neue Film von Rudolf Thome, erzählt die Geschichte der gleichnamigen Dichterin, die ihr chaotisches Liebesleben endlich auf eine feste Basis stellen will und die sich deshalb zwischen ihren drei Liebhabern entscheiden muss. Um endlich die richtige Wahl zu treffen, bestellt sie die Männer zu einer ihrer Lesungen in Leipzig ein, um ihnen dort das Ergebnis ihre Berechnungen in Sachen Liebe mitzuteilen. Denn "Liebe ist das Produkt planmäßigen Vorgehens plus einem eisernen Verstand", davon ist Pink überzeugt. An der Spitze ihrer Punkteliste befindet sich der smarte Geschäftsmann Carlo (Guntram Brattia), den die Dichterin dann auch prompt als Ehemann Nummer Eins erwählt. Der Euphorie der geglückten Partnerwahl folgt aber prompt die Ernüchterung, denn Carlo ist so gut wie nie zuhause, Pink fühlt sich trotz der Enge vernachlässigt und packt nach kurzer Zeit ihre Koffer. Vorher hinterlässt sie ihrem nun schon Ex-Ehemann freilich noch einige unmissverständliche Botschaften, natürlich in Pink. Nomen est omen! Was Pink nicht ahnt: Carlo wird sich später in seinem Büro erhängen.
Nach einer kurzen Affäre mit Lilli (Christine Hecke) ist die Reihe nun an Georg (Florian Panzner), dem Verleger mit Schuhtick, der auf Pinks Liste die zweithöchste Punktzahl erzielt hat. Auch hier wiederholt sich die Erfahrung aus ihrer ersten Ehe, bereits in den Flitterwochen in Florida lässt Georg seine Frau alleine nach Deutschland zurückkehren, um noch ein Weilchen angeblichen Geschäften nachzugehen. Was das für Geschäfte sind, muss Pink nach der Rückkehr ihres neuen Gatten am eigenen Leib erfahren: Als Souvenir seiner ausgedehnten Bordelltouren hat er sich einen Tripper eingefangen und seine Frau infiziert. Klar, dass sich damit auch die Ehe Nr. 2 erledigt hat. Bei Balthazar (Cornelius Schwalm) schließlich, dem leicht versponnen wirkenden, letzten Kandidaten von der Liste, der seine Gefühle und Gedanken oft in Songform vorträgt, findet sie endlich ihr Glück. Und das sieht so ganz anders als, als man es von einer jungen Wilden wie ihr erwarten durfte.

25 Filme hat der unabhängige Filmemacher Rudolf Thome bereits gedreht. Doch mit diesem, seinem neuesten Werk wollte er alles ganz anderes machen als bisher. Pink nennt er seinen "bislang radikalsten Film". Und in gewisser Weise ist ihm das auch gelungen. Denn Pink hat vieles an sich, um das Publikum und die Kritiker tiefer zu spalten, als dies seine bisherigen Filme vermochten.

Allein das unbedingte Festhalten an der Liebe als letztem Lebenszweck, das aus der wilden und souveränen (wenngleich unter uns gesagt nicht sonderlich begabten) Dichterin Pink ein nach Zuwendung hechelndes graues Mäuschen macht, ist von solcher Schlichtheit und märchenhaften Naivität, dass man so einer Figur im wahren Leben wohl nie begegnen würde. Die schlussendliche Wandlung Pinks, die eigentlich Susi Bauer heißt und früher eine Klosterschule besuchte, von der mit der Pistole herumfuchtelnden Widerspenstigen zur glücklichen Mutter ist von solch ausgesuchter Banalität, dass man sich schlichtweg weigert, dies anders als zutiefst ironisch zu begreifen.

Überhaupt strotzt der Film derart vor lauter Klischees, vor bewussten Holprigkeiten und scheinbare Inkongruenzen, dass es schon ein hohes Maß an Distanz vermag, um die Leichtigkeit und Ironie seines Filmmärchens zu goutieren. "Wer sich nicht auf diese Art des Erzählens, der Löcher in der Erzählung und des Humors, der sich darin verbirgt, einlassen kann," schreibt Thome in seinem Online-Tagebuch, "hat keine Chance, den Film zu verstehen und zu lieben." Dem ist wahrlich kaum etwas hinzuzufügen.

Eine dermaßen unverfrorene Lust an der Oberfläche und am scheinbar Banalen ist etwas sehr Seltenes im deutschen Film, in dem ansonsten alles immer so schrecklich ernst und schwer gemeint ist. Mit Pink erweist sich Thome als einziger und vielleicht letzter Nachfolger der französischen "nouvelle vague". Hinreißend sind ohne Frage die teilweise wundervollen schwebenden, eleganten Kameraeinstellungen Ute Freunds, die Musik von Katia Tchemberdji und die aufreizenden Langsamkeit, mit der Thome diesen Film ausstattet. Das kann man einerseits als Lob verstehen. Andererseits aber hat die „nouvelle vague“ ihre besten Zeiten schon lange hinter sich. Und so wirkt auch dieser Film trotz seiner vermeintlichen Modernität, bei der man sich gerne mal per SMS voneinander trennt, zutiefst konservativ. Und aller Ironie zum Trotz auch reichlich banal.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/pink