Ein Augenblick Freiheit

Flüchtlingsschicksale

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

In einem heruntergekommenen Hotel in Ankara kreuzen sich die Schicksale dreier Flüchtlingsgruppen, die hier auf ihre Visa und die Einreisebewilligungen für die Reise nach Westeuropa warten. Jeder von ihnen hat ein schweres Schicksal mit im Gepäck, ist aus dem Iran aufgrund von Verfolgung, Diskriminierung und Folter geflohen, hat unglaubliche Strapazen hinter sich gebracht, um endlich ein neues Leben zu wagen. Und nun warten sie gemeinsam mit anderen in den endlosen Schlangen vor dem UN-Gebäude in Ankara, immer zwischen Hoffnung, Vorfreude und Angst schwankend. Denn auch in der Türkei haben die Geheimdienste ihre Spitzel überall. Und als illegale Flüchtlinge müssen sie auch die Razzien der Polizei fürchten, bis sie endlich vom UNHCR anerkannt worden sind.
Ali (Navid Akhavan) und sein Freund Merdad (Pourya Mahyari), die Alis Nichte Azy (Elika Bozorgi) und seinen Neffen Arman (Sina Saba) in den Westen zu deren Eltern schmuggeln wollen, wären auf der Flucht aus dem Iran beinahe von Revolutionswächtern erschossen worden, wenn sich nicht ein Mann aus dem Bus in selbstmörderischer Weise für die Kinder geopfert hätte. Und obwohl Ali und Merdad ihr Leben riskieren, sind die Kinder gar nicht froh über das bevorstehende Wiedersehen mit ihren Eltern, die sie seit langem nicht gesehen haben. Viel lieber wären sie bei ihren Großeltern im Iran geblieben.

In einem anderen Zimmer des abgewrackten Hotels wohnen der lebensfrohe junge Kurde Manu (Fares Fares) und der schwermütige, alte politische Aktivist Abbas (Said Oveissi) zusammen. Obwohl die beiden Männer unterschiedlicher kaum sein könnten, freunden sie sich miteinander an. Wobei auch ein Schwan für diese Freundschaft eine wichtige Rolle spielt. Und zuletzt ist da noch das Ehepaar Lale (Behi Djanati Ataï) und Hassan (Payam Madjlessi), das gemeinsam mit seinem Sohn Kian (Kamran Rad) den beschwerlichen Weg über die Berge in die Türkei gewagt und trotz eines betrügerischen Schleppers ihr vorläufiges Ziel erreicht hat. Nun beginnt für alle die zermürbende Zeit des Wartens. Und selbst im vermeintlich sicheren Ankara ist ihr Leben in ständiger Gefahr...

Es sind zutiefst beeindruckende Bilder, die der Dokumentarfilmer Arash T. Riahi für seinen ersten Spielfilm findet: Bereits in der Anfangssequenz, die eine Erschießung politischer Gefangener aus der Vogelperspektive zeigt (eine Szene, die sich am Ende der Geschichte wiederholen wird, und deren Bedeutung wir erst dann erfassen), die dann in ein unschuldiges kindliches Murmelspiel mündet, erweist sich der Blick Riahis für dramatische Zuspitzung als Glücksfall für den Film. Trotz der Poesie, die den Bildern und Szenen innewohnt, ist Ein Augenblick Freiheit kein beschönigender Film, sondern ein manchmal leiser humorvoller, dann wieder ein zutiefst trauriger und zärtlicher Blick auf die vielen Flüchtlinge, die vor den Toren Europas auf Elnlass warten, auf ihre Geschichten, ihre Hoffnungen und die Enttäuschungen. Und auf den Tod, der manchen von ihnen erwartet.

Die österreichisch-iranische Koproduktion wurde bereits auf verschiedenen Festivals mit Preisen ausgezeichnet (so erhielt der Film beim Max-Ophüls Festival 2009 den Preis des saarländischen Ministerpräsidenten, beim World Film Festival in Montreal und beim Zürich Filmfestival für den besten Debütspielfilm sowie beim Festival International des Jeunes Realisateurs Saint Jean de Luz/Biarritz den Preis für die beste Regie). Außerdem wurde Ein Augenblick Freiheit mit dem Prädikat "besonders wertvoll" der Filmbewertungsstelle Wiesbaden ausgezeichnet. Nicht dass angesichts der Festivalflut Preise allzu viel Aussagekraft besitzen, in diesem Fall aber ist die Häufung der Auszeichnungen sicherlich kein Zufall, sondern mehr als verdient für einen Film, der in gelungener Weise große Emotion und ernsthaftes Anliegen kongenial miteinander verbindet.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ein-augenblick-freiheit