Tales from the Golden Age

Der Hut des Diktators

Eine Filmkritik von Peter Gutting

So verräterisch kann Sprache sein: Je elender die Wirklichkeit, desto beschönigender die Worte. "Goldenes Zeitalter" nannte das Ceausescu-Regime die letzten 15 Jahre seiner Herrschaft. Dabei musste das rumänische Volk zu dieser Zeit sogar hungern. Cristian Mungiu und seine vier Regiekollegen machen sich den aberwitzigen Kontrast in ihrem bissigen Episodenfilm zunutze: für groteske Satiren, aber vor allem für eine Hymne auf die Lebensweisheit der kleinen Leute.
Es handelt sich um sechs mündlich überlieferte Geschichten, die alle auf wahren Begebenheiten beruhen. Also um das, was man sich so hinter dem Rücken der Diktatur in den Warteschlangen vor den leeren Geschäften zuflüsterte. Und da solche modernen Volkssagen die Tendenz haben, die Geschehnisse beim Weitersagen zuzuspitzen, konnte der Drehbuchautor auf ziemlich aberwitzige Erzählungen zurückgreifen, die zugleich tiefe Wahrheiten über das Leben im Allgemeinen und die realsozialistischen Verhältnisse im Besonderen enthalten.

Zum Beispiel die Vorbereitungen für einen Besuch hoher Parteifunktionäre. Hier wird nicht nur ein Potemkinsches Dorf aufgebaut. Hier wird vor allem die Willkür deutlich, die immer dann entsteht, wenn Menschen das Gefühl haben, es dem unbekannten Willen herrschsüchtiger Autoritäten um jeden Preis recht machen zu wollen. Eben waren die Dorfbewohner noch stolz auf ihre festlich geschmückten Kühe, schon werden die Viecher zu Lebewesen non grata erklärt – Schafe sollen her. Auch sonst blickt vor lauter Widersprüchen kaum einer durch, ständig kommen von der Zentrale neue Anweisungen, die die alten über den Haufen werfen. Sensationell ist in diesem Zusammenhang eine Szene mit einem Karussell, deren Clou der Zuschauer aber nicht im Voraus kennen sollte.

Herrlich ist auch die Episode über zwei Fotografen, die einen Staatsbesuch von Frankreichs damaligem Präsidenten Giscard d’Estaing ablichten sollen. Auf dem Foto hat der Franzose einen Hut auf, Ceausescu aber nicht. Für die Zeitungsleute ist das kein Grund, nicht auf den Auslöser zu drücken. Aber der Chefredakteur und die Zensoren von der Partei machen eine Staatsaffäre daraus. Sollte hier etwa der Eindruck vermittelt werden, der Kommunist ziehe vor dem Kapitalismus seinen Hut? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, werden die Fotografen dazu verdonnert, kurz vor Druckbeginn dem Diktator einen Hut auf den Kopf zu montieren. Aber wie es der Teufel will, führt der Manipulationsversuch erst recht zur Katastrophe.

Nicht alle der sechs hintereinander erzählten Episoden von Tales from the Golden Age / Amintiri din Epoca de Aur sind gleichermaßen gelungen. Zwar hat Cristian Mungiu (4 Monate, 3 Wochen und zwei Tage) zu allen das Drehbuch geschrieben. Aber die filmische Umsetzung unterscheidet sich naturgemäß. Das betrifft weniger die eingängige und überwiegend alltagsnahe Bildsprache. Es betrifft mehr den Bildwitz und die Prägnanz, mit der eine Geschichte auf den Punkt kommt. Zwei Episoden sind eindeutig zu lang geraten. Eine Gesamtdauer von 155 Minuten ist daher etwas ermüdend. Aber Cristian Mungiu und seine Kollegen haben für dieses Problem eine Lösung parat, wie sie gewitzter nicht sein könnte. Weil man in den Warteschlangen des "Goldenen Zeitalters" auch nicht wusste, was man am Ende bekam, halten die Regisseure ihre Vorführungen variabel. In Cannes zeigten sie zweimal fünf Episoden, erst in der dritten Vorstellung sowie bei der Deutschlandpremiere auf dem Münchner Filmfest fügten sie die sechste Episode dazu. In Rumänien soll das Ganze in zwei Teilen gezeigt werden. Einmal vier Geschichten über die Autoritäten und einmal zwei Geschichten über die Liebe. Wenn man in einer Diktatur groß geworden ist, muss man eben improvisieren können.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/tales-from-the-golden-age