ICH - Einfach unverbesserlich (2010)

Ein hinreißend verdorbener Schurke

Eine Filmkritik von Lida Bach

Wenn Gru einem weinenden Kind einen Luftballon schenkt, dann nur, um ihn umgehend zu zerstechen. An der Kaffeetheke wird Gru zuerst bedient, weil er die anderen Wartenden mit seinem Gefrierstrahler vereist und seine Behausung ist dekoriert mit ausgestopften Tieren. Der spitznasige Misanthrop ist ein professioneller Superbösewicht. Noch fieser als der buchstäbliche Antiheld ist der rabenschwarze Humor des 3D-Abenteuers Ich – Einfach unverbesserlich. Mit seinem geistreichen Animationsfilm beweist das Regie-Duo Pierre Coffin und Chris Renaude, das 3D-Kino außer Selbstreferenzen, Popkultur-Zitaten und Schaueffekten noch zu Herzen gehende Geschichten zu bieten kann. Mit skurrilem Charme und Experimentierfreude stellt das Debüt der Illumination Entertainment – Studios die routiniert inszenierten Endlos-Fortsetzungen großer CGI-Produktionsstätten spielend in den Schatten.

Die Konkurrenz schläft nicht, muss auch Gru (Sprecher: Steve Carell) feststellen. Gerade hat er den Eiffelturm und die Freiheitsstatue gestohlen - leider nur deren Nachbildungen aus Las Vegas. Die Bank des Bösen hält ihn aufgrund seines geringen Erfolgs bei seinen Untaten für kreditunwürdig. Nun droht der schmierige Superbösewicht Vektor (Sprecher: Jason Segel) ihm den Rang abzulaufen. Als ultimative Übeltat will Gru im Gegenzug den Mond stehlen. Dafür benötigt er die Hilfe der Waisen Margot (Miranda Cosgrove), Agnes (Elsie Fisher) und Edith (Dana Gaier). Kurzerhand adoptiert Gru die überglücklichen Mädchen, die glauben, endlich ein richtiges zu Hause gefunden zu haben. Die Drei bringen Chaos in das Geheimlabor von Grus Wissenschaftler-Komplizen Dr. Nefario (Russell Brand) - und Zuneigung in sein Leben.

Grus erwachende Vatergefühle mögen vorhersehbar sein. Umso überraschender sind die anarchischen Witze, die „Ich – einfach unverbesserlich“ im Sekundentakt liefert. Trotz des hohen Tempos nimmt sich der turbulente Kinderfilm auch Zeit für leise Töne. Was den den stets leicht gebückt laufenden Fiesling mit suspektem Akzent umtreibt, deutet der Originaltitel „Despicable Me“ an. Gru findet sich selbst verachtenswert. Beinahe rührend muten die Szenen an, die zeigen, wie aus einem ehrgeizigen und abenteuerlustigen Kind ein verbitterter Erwachsener wird. Er will es allen zeigen – besonders seiner Mutter. Dass auch sie "einfach unverbesserlich" ist, kann Gru schließlich gleichgültig sein. Die ersehnte Zuneigung findet er unerwartet bei Agnes, Margo und Edith. Ihnen droht Grus Schicksal, wenn sie im Waisenhaus der lieblosen Kinderheimleiterin (Julie Andrews) aufwachsen müssen. Das wahre Böse vertreten in der hintersinnigen Familienunterhaltung schlechte Elternfiguren, die ihre Kinder ignorieren, schikanieren oder mit Geschenken ruhigstellen. Und die Bank natürlich, wegen der Gru seinem Heer winziger gelber Assistenten keine Gehaltserhöhung geben kann. Dabei fühlt selbst der Erzgauner, dass die quirligen "Minions" es verdient haben. Die heimlichen Helden des Kinderabenteuers setzen ihre Streiche bis in den Abspann fort.

Schon Shakespeare wusste, dass Schurken die interessanteren Figuren sind. Obwohl vereinzelt allzu überdreht, überzeugt Ich – Einfach unverbesserlich mit Originalität und authentisch-liebenswerten Protagonisten. Weil in jedem Superschurken ein Kind steckt und in jedem Kind ein Superschurke, wachsen die drei Mädchen und ihr Ziehvater zu einer liebenswerten Alternativfamilie zusammen. Darf man jemandem Waisenkinder anvertrauen, dessen Name die Abkürzung für den russischen Militärnachrichtendienst ist? Ja, wenn er ihnen für süße Träume die "Mona Lisa" und van Goghs "Sternennacht" im Kinderzimmer aufhängt. Statt von Läuterung erzählt der fantasievolle Kinospaß von Zusammenhalt und Selbstrespekt. Gru ist tatsächlich "einfach unverbesserlich". Böse, aber nicht mehr bitter-böse. Auch das ist eine Art von Happy End.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ich-einfach-unverbesserlich-2010