Die Bucht

Flipper darf nicht sterben

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Jedes Jahr töten japanische Fischer 23.000 Delfine. Noch. Denn erstmals hat ein Dokumentarfilm das blutige Abschlachten aufdecken können. Dadurch steigen die Überlebenschancen der Meeressäuger enorm. Aber nicht nur das: Quasi "nebenbei" gelang Regisseur Louie Psihoyos ein faszinierender Einblick in die Lebenswelt der menschenfreundlichen Tiere. Beim Sundance Film Festival gewann Die Bucht / The Cove in diesem Jahr den Publikumspreis für den besten Dokumentarfilm.
Was in der Bucht des kleinen Städtchens Taiji geschieht, hat bisher niemand beweisen können. Greenpeace scheiterte ebenso an den Hochsicherheitszäunen wie die Reporter renommierter Magazine. Um das Wachpersonal austricksen zu können, musste der amerikanische Fotograf und Regisseur Louie Psihoyos eine Reihe von Hightech-Geräten auffahren lassen: militärfähige Wärmebildkameras, ferngesteuerte Helikopter, künstliche Felsen mit versteckter Kameratechnik. Die verzweifelte Geheimhaltungspolitik der japanischen Behörden kommt natürlich nicht von ungefähr. Sobald die Welt erfährt, was an diesem Ort der Erde geschieht, bricht der Wahnsinn in sich zusammen.

Trotzdem tut das Filmteam gut daran, den Zuschauer nicht nur vor allzu expliziten Bildern zu bewahren. Sondern ihn auch immer wieder in eine bildstarke Gegenwelt zu entführen: die Tiere in freier Natur, wo sie mit ihren Sprüngen der Lebensfreude freien Lauf lassen. In solchen Episoden erfahren wir zum Beispiel, wie Delfine Menschen vor Haien schützen. Oder wie sie Kontakt aufnehmen, wenn sie auf Taucher treffen. Oder wie sie einem Menschen ihre Gefühle zu verstehen geben.

Wer dabei an Flipper denkt – die erfolgreiche Fernsehserie aus den 1960er Jahren – liegt nicht ganz falsch. Zentralfigur des Films ist Ric O’Barry: jener Mann, der damals die fünf Flipper-"Darsteller" trainierte. O’Barry hat eine atemberaubende Wandlung durchgemacht. Erst war er Profiteur und Teil der milliardenschweren Delfinarien-Industrie, dann radikaler Tierschützer, der wegen seiner Delfin-Befreiungsaktionen mehrfach im Gefängnis landete. Mit welch tiefer Überzeugung und innerer Stärke dieser Mann für seine Mitgeschöpfe kämpft – das allein macht den Film sehenswert.

Der Skandal von Taiji ist ein zweifacher. Er betrifft das Geschäft mit den Delfinarien ebenso wie das Töten. Erst treiben Fischer immer wieder Hunderte von Tieren in die Bucht, die auf drei Seiten von hohen Felsen abgeschlossen wird. Dann versperren sie mit Netzen die Flucht ins offene Meer. Am nächsten Tag kommen Geschäftemacher, die bis zu 150.000 US-Dollar für einen lebenden Delfin zahlen, der sein restliches Leben in der Gefangenschaft einer Show oder eines Delfinariums verbringen muss. Aber nur wenige Tiere kommen dafür infrage. Den großen Rest treiben die Fischer in die benachbarte Hochsicherheitsbucht, wo sie dann mit Speeren, Messern und Haken massakriert werden. Dafür findet der Film ein Bild, das viel stärker ist als konkrete Details: Die ganze Bucht färbt sich rot.

Es ist erstaunlich, wie es Psihoyos und O’Barry trotz klarer Parteilichkeit schaffen, die Balance zu halten zwischen Argumentation und Agitation, zwischen Aufklärung und Wut. Und dennoch vibriert jede Szene geradezu von dieser unglaublichen Energie, die einen Menschen wohl nur dann erfüllt, wenn ihn tief im Inneren eine Mission antreibt. "Delfine sind die einzig bekannten Wildtiere, die Menschen in Not zu Hilfe eilen“, sagt Regisseur Psihoyos. „Jetzt ist es Zeit, dass wir ihnen helfen."

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-bucht