Avatar - Aufbruch nach Pandora (2009)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Im Mittelpunkt der Emmy-prämierten Folge „Eine hohle Bar“ (Staffel 16, Episode 9) der Satire-Cartoonserie „South Park“ steht das Thema (White-)Trash-TV und damit verbunden die Frage: Hängt die Niveau-Messlatte inzwischen wirklich so tief? Im Parallel-Plot aber, da macht sich ein Mann daran, diese (wortwörtliche) Messlatte aus den Tiefen des Ozeans zu heben: James Cameron.

Trotz ihrer gewohnt sarkastischen Art ist das dennoch eine Verbeugung der South-Park-Macher*innen vor dem Regisseur: dafür, dass er trotz kommerzieller Mega-Erfolge nie gänzlich den Anspruch auf gutes Unterhaltungskino vermissen lässt – und dafür, dass er die Messlatte auf der Leinwand in schöner Regelmäßigkeit höher gehängt hat. Nach Aliens, Terminator 2 und Titanic gelang ihm das mit seinem bislang letzten Film im Hinblick auf den Erfolg derart gut, dass der (nachdem ihn Avengers: Endgame kurzzeitig überholt hatte) nach wie vor an der Spitze der einnahmestärksten Filme der Welt steht: Avatar. Die Messlatte wurde anno 2009 aber noch auf andere Weise höher gelegt: Camerons SciFi-Streifen leitete flächendeckend die Ära des modernen 3D-Kinos ein.

Was daraus geworden, steht auf einem anderen Blatt: nämlich etliche Blockbuster, die 3D nur pflichtschuldig spendiert bekommen, um noch ein paar Euro mehr an der Kasse aufschlagen zu können. Vielen gilt die Plastikbrille, die zudem noch einiges von der Helligkeit auf der Leinwand schluckt, längst als lästiges Accessoire. Weil nicht wenige Filme erst im Nachhinein die Stereoskopie-Kur bekommen und es nicht schon beim Dreh mitgedacht wurde, birgt die dritte Dimension ohnehin kaum visuellen Mehrwert. Anders bei Avatar, dem in dieser Hinsicht in 13 Jahren niemand die Stirn bieten konnte.

Wie bedacht Cameron und sein Kameramann Mauro Giore (Training Day, The Equalizer) darauf waren, das 3D nicht als reines Technik-Gimmick einzusetzen, sondern es visuell auch vollends auszukosten, zeigen schon die ersten Einstellungen, in denen gewaltige Kontraste zwischen Vorder- und Hintergrund aufgemacht werden: der kleine Planet Pandora vor einem riesigen Gasriesen; ein längliches Raumschiff, das sich vor dem dunklen All in die Kamera schraubt; und ein Blick in sein Inneres, der die ganze Tiefe des Metallkonstrukts verdeutlicht.

Derartiges bestimmt die 160 Minuten von Avatar in aller Konsequenz: Cameron und Giore ziehen ihre Bilder bis ins Gewaltige auf, setzen Figuren, Pflanzen, Objekte stets vor möglichst tiefe Hintergründe – und erzeugen damit auch im Jahr 2022 noch eine überwältigende Opulenz. Das Visuelle und dessen technische Umsetzung waren schon zum ersten Kinostart die eine große Stärke von Avatar, und sie sind es auch heute noch. Gleichwohl wurde schon damals zu Recht kritisiert, dass die simple Geschichte mit dem narrativen Holzhammer erzählt wird.

Die Menschheit ist hier nicht, wie in so vielen anderen Geschichten mit Alien-Kontext, die unterlegene, sondern technologisch völlig überlegene Rasse gegenüber den naturbelassenen Na'vi, die auf Pandora leben. Weil die auf einem gewaltigen Vorkommen eines seltenen Minerals sitzen, sollen sie umsiedeln, und so wird der Soldat Jack Sully (Sam Worthington) beauftragt, die Einheimisches auszuspionieren und ihr Vertrauen zu gewinnen. Und zwar als Teil des Avatar-Programms, bei dem sein Verstand in einen im Tank gezüchteten Na'vi-Körper transferiert wird.

Es kommt, wie es kommt: Jack lernt die Kultur der Na'vi kennen und respektieren, verliebt sich in die Häuptlingstochter Neytiri (Zoe Saldana), kann die gierigen Kolonisten aber nicht von ihren Plänen abhalten. Es folgen Gewalt, Zerstörung, Tod und schließlich der große Gegenschlag unter dem Banner des Zusammenhalts.

Die Vergleiche zur Geschichte von Pocahontas sind nicht von der Hand zu weisen, der Plot riss schon damals wahrlich keine Innovationsbäume aus, und die Figuren kommen kaum Stereotype hinaus: der schlichte Soldat, die taffe Wissenschaftlerin, das esoterisch-exotische einheimische Volk. Dazu noch wuchtig-pathetische Musik in den tragischen und besonders emotionalen Momenten und ein überragend fieser Antagonist (Stephan Lang), an dem der Film in der zweiten Hälfte so gar kein gutes Haar lässt.

Doch diese erzählerische Simplizität münzt Cameron im gleichen Atemzug in Effizienz um. Die Welt ist originär und durchdacht (siehe etwa die Körpergröße der Na'vi, die ob der leichteren Schwerkraft doppelt so groß wie die Menschen sind), die Sympathie-Verhältnisse exakt so wie beabsichtigt, und die pro-ökologischen sowie anti-imperialistischen, US-kritischen Aussagen mögen zwar mit der großen Keule kommen („Ein anderer hat etwas, das du haben willst? Mach ihn zu deinem Feind – so läuft das immer!“) – dafür aber sitzen sie. Man mag sich also zu Recht am reißbrettartigen Blockbuster-Plot von Avatar stören. Doch Cameron hat sich seit jeher weniger um die narrative als die inszenatorische Messlatte interessiert, und die lag 2009 und liegt auch noch 2022 bei diesem Film sehr hoch. Andererseits beweist dieser Film Haltung, was angesichts der entpolitisierten Richtung, die das Blockbuster-Kino mit dem MCU ein Jahr zuvor einschlug, umso beachtenswerter ist.

 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/avatar-aufbruch-nach-pandora-2009