Inception (2010)

Das traumhafte Kopfkino des Christopher Nolan

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Mit großer Spannung erwartet und einigen Vorschusslorbeeren bedacht, hat sich Christopher Nolans neuer Film Inception in den USA souverän an die Spitze der Kinocharts gesetzt und soll es auch hierzulande gegen die derzeit übermächtigen, aber wenig ambitionierten 3D-Filme richten. Um es kurz zu machen: Inception hat durchaus das Zeug, um es auch in Deutschland auf Platz 1 der Charts zu schaffen – und zwar vor allem deswegen, weil er Mainstream-Action mit einem anspruchsvollen Plot voller Twists, Wendungen und doppelten Böden kombiniert und darüber hinaus noch von einem Thema handelt, das beinahe jeden beschäftigt – es geht um die Macht der Träume und darum, wie es wohl innerhalb unseres Verstandes aussehen mag. Das klingt zwar nicht nach leicht konsumierbarer Kost, ist aber dank Nolans Imaginationsgabe und Kunstfertigkeit brilliant und aufregend zugleichz umgesetzt.

Dom Cobb (Leonardo DiCaprio) ist ein Dieb der besonderen Art. Dank seiner Begabungen versteht er sich darauf, in die Träume anderer Menschen einzudringen und dort deren im Unterbewusstsein verborgene tiefste Geheimnisse zu entwenden. Nun aber bekommt er von dem asiatischen Geschäftsmann Saito (Ken Watanabe) einen ganz besonderen Auftrag: Statt der Extraktion, also dem Diebstahl einer Idee oder eines Geheimnisses, soll er eine Inzeption vornehmen, also einen Gedanken in den Verstand eines anderen Menschen einpflanzen. Dieses Verfahren ist ungleich gefärhlicher als ein Diebstahl und so versammelt Cobb einige Spezialisten um sich, unter anderem den Koordiniator Arthur (Joseph Gordon-Lewitt), die "Architektin" Ariadne (Ellen Page), damit die Einpflanzung des Gedankens gelingt. Doch der Plan, so minutiös er auch entworfen und durchgeführt wird, birgt enorme Risiken. Und die liegen vor allem in Cobb selbst begründet, dessen eigenes Unterbewusstsein Verdrängtes und Verschwiegenes enthält, das sich immer wieder einmischt.

Christopher Nolan schöpft in seinem neuen Film aus einem reichen Fundus, spielt mit Elementen aus verschiedensten anderen Werken (wie beispielsweise Martin Scorseses letztem Film Shutter Island, in dem Leonardo DiCaprio in einer ganz ähnlich angelegten Rolle zu sehen war, oder diversen Werken aus der James Bond-Reihe und etlichen Heist Movies) und versteht sich doch darauf, aus dieser Vielzahl an Einflüssen und liebevolle Spielereien etwas vollkommen Neues zu erschaffen, das über den gesamten Zeitraum von immerhin 148 Minuten spannend bleibt, fesselt und das vor allem über den Film hinaus für reichlich Hirnfutter sorgt. Und je länger man über Inception nachdenkt, umso mehr erschließt sich einem, wie intelligent hier komplexe Sachverhalte und hochphilosophische Fragestellungen auf einfache Weise verhandelt werden. Wobei man den Film durchaus auch ausschließlich auf der Action-Ebene und als reine Unterhaltung betrachten kann.

Dabei ist Inception durchaus nicht frei von Fehlern und kleinen Unstimmigkeiten, die aber letzten Endes zum einem vor allem Geschmacksfragen sind (zu nennen wäre hier vor allem Leonardo DiCaprio als Hauptdarsteller und Hans Zimmers zum Teil dominanter, aber recht wirkunsgvoller Score) und die in der Gesamtschau ebenso wenig ins Gewicht fallen wie diverse kleine Unstimmigkeiten des Drehbuchs, das sich manchmal dann doch in den vielen Fallen und Doppelbödigkeiten verstrickt.

Am ehesten lässt sich Inception noch mit dem ersten Teil der Matrix-Trilogie vergleichen – und zwar gleich in mehrerlei Hinsicht. Zum einen ist da die recht ähnliche Mischung aus grandios inszenierter Action und philosophischen Überbau, die sowohl Mainstream-Afficionados als auch Arthouse-Adepten gleichermaßen ansprechen dürfte. Zum anderen geht es in beiden Filmen um Welten jenseits der realen und um das Verhältnis von Welt und Vorstellung, um Illusion und Wirklichkeit und die Gefahren, sich darin zu verlieren.

Und zuletzt ist Inception auch ein Film über das Filmemachen selbst – zumindest am Rande. Denn geht es im Kino nicht vor allem darum, Träumen Gestalt zu verleihen und aus dem Phantasiegebilde eines Einzelnen einen kollektiven Traum, ein gemeinschaftliches Erlebnis zu machen, dessen Logik(en) und Wirkungsprinzipien allein dem Willen ihres Schöpfers/Regisseurs unterworfen sind? Beschreiben also die Traumwelten von Inception nicht letzten Endes die Utopie des Kinos als ein Ort, in dem Träume gemeinschaftlich erlebbar werden und an denen man sogar im Gegensatz zum Kino selbst aktiv werden kann? Zugegeben – solch eine neue Form des Kinos wäre verlockend. Doch zugleich macht der Film auch klar, welche großen Gefahren darin lägen. Denn wenn wir uns die Realität so erträumen, so gestalten könnten, wie es uns beliebt, welchen Anreiz gäbe es denn dann noch, in der wirklichen Welt zu leben?

Wenn in dem grandios ambivalenten Schlussbild des Filmes nichts Geringeres als das Happy End des Helden auf dem Spiel steht und wir darüber rätseln, ob das, was wir da sehen, nun Realität oder Traumgespinst ist, dürfte es aller Voraussicht nach so manchen Zuschauer geben, der sich wünscht, dieser Film sei ein Traum – und zwar einer, der noch möglichst lange andauert.

Vielleicht ist Inception doch nicht der ganz große Wurf geworden, auf den man befeuert durch die teilweise euphorischen Kritiken gehofft hatte - ein packender und raffinierter Film mit einer faszinierenden Prämisse ist Christopher Nolan dennoch ohne jeden Zweifel gelungen. Und das ist in Zeiten cineastischen Mittelmaßes schon ziemlich viel.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/inception-2010