Up in the Air

Der Vielflieger ohne festen Wohnsitz

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Für Ryan Bingham (George Clooney) ist das Reisen keine Last, sondern eine Lust. Der passionierte berufliche Vielflieger, der im Dienste seiner Firma an 322 Tagen im Jahr unterwegs ist, um quer durchs Land der unbegrenzten Möglichkeiten Mitarbeiter von Firmen "freizusetzen", hat das Unterwegssein im Laufe seiner Karriere zu einer Kunstform entwickelt, die bereits in den ersten Szenen mehr einem Ballett als einer ganz normalen Dienstreise gleicht. Virtuos und mit genauestens abgezirkelten Bewegungen bewegt sich der smarte Consultant über die endlosen Gänge und diversen Sicherheitschecks der gesichts- und namenlosen Flughäfen. Wie sich später herausstellt, weiß er genau, in welche Schlangen er sich einreihen muss ("niemals hinter Rentern, die haben mehr Metall am Leib, als sie es ahnen"), um möglichst problemlos und zeitsparend seinen Flug zu erreichen, er kennt sich bestens aus mit den unterschiedlichen Konditionen verschiedener Mietwagenanbieter und Hotelketten. Zudem ist er mit Plastikkarten für nahezu jeden Lebenszweck ausgerüstet und hat eigentlich nur ein Ziel vor Augen: Er will als siebter Passagier jemals die magische Schallmauer von 10 Mio. Flugmeilen bei seiner Fluglinie American Airlines durchbrechen und damit in den Genuss einer höchst exklusiven Kundenkarte gelangen.
Nebenbei hat Ryan aus seinen Erfahrungen eine zynische Philosophie gestrickt, die er als geschickter Verkäufer in gut bezahlten Seminaren unter das fahrende Business-Volk bringt: Anhand eines imaginären Rucksacks demonstriert er die Nutzlosigkeit von Besitztümern und emotionalen Bindungen, die allesamt nur hinderlich sind für die grenzenlose Flexibilität und Mobilität des modernen Berufslebens. Wahrlich – Ryan hat es sich gut eingerichtet in seinem Leben. Wobei die auf maximale Nützlichkeit ausgerichteten Philosophie bei Lichte betrachtet vor allem dazu dient, das miese Geschäft mit den Entlassungen von Hunderten, ja Tausenden Menschen einigermaßen erträglich zu gestalten.

Doch dann macht ihm ausgerechnet eine junge und mindestens ebenso karrierebewusste Neueinsteigerin in seiner Firma das Leben schwer: Natalie Keener (Anna Kendrick) will das Freistellungs-Business mittels Videokonferenzen revolutionieren und damit die Vielfliegerei und die damit verbundenen Kosten auf ein Minimum reduzieren – Ryan droht der Innendienst. Angesichts dieser wenig schmeichelhaften Aussichten entdeckt ausgerechnet er plötzlich die Würde und Bürde seiner diffizilen und delikaten Branche und versucht die Konkurrentin auf einer gemeinsamen Tour von den Vorzügen des persönlichen Freistellungsgesprächs zu überzeugen. Im Verlauf der Reise muss er feststellen, dass die junge Frau viel sensibler ist, als ihr ehrgeiziges Auftreten dies vermuten ließ. Und schließlich begegnet er auf einer seiner Touren der attraktiven Alex (Vera Farmiga), mit der Ryan eine Affäre nach Terminplan beginnt, die sich schrittweise in etwas Ernsthaftes verwandelt – es droht eine emotionale Bruchlandung. Denn ganz offensichtlich hat auch der knallharte Consultant emotionale Bedürfnisse, die er nicht länger hinter dem mühsam errichteten Konstrukt seiner coolen Lebenseinstellung verbergen und begraben kann.

So sehr Jason Reitmans grandios geschriebene und inszenierte tiefsinnige und reichlich hinterlistige Tragikomödie an manchen Stellen auch an Fruttero & Luccentinis grandiosen Roman Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz und dann wieder an Filme wie Die Reisen des Mr. Leary mit William Hurt in der Hauptrolle erinnert – mit seiner Mischung aus fein dosierter Gesellschaftskritik, treffender Gegenwartsbeschreibung der allzu realen wirtschaftlichen Krise und subtilem Humor ist dem Regisseur nach Filmen wie Thank You for Smoking und Juno endgültig der große Wurf gelungen. Geschickt verknüpft der Film verschiedene Ebenen miteinander; er funktioniert sowohl als Liebesgeschichte wie auch als treffsichere Parodie auf das moderne Business-Leben, ist dabei stets leicht und elegant und bietet dennoch genügend Anknüpfungspunkte, um einerseits prächtig zu amüsieren und andererseits angerührt zu werden von einer Geschichte, die vieles über unser modernes und gehetztes, allzu effizientes Leben verrät.

So leichtfüßig die Geschichte auch daherkommen mag: Jason Reitman hat eine ganze Menge von kleinen Boshaftigkeiten in den Fluss der Erzählung eingebaut, die die Story um den Vielflieger ohne festen Wohnsitz auf hinterlistige Weise erden und auf entlarvende Weise mit der Realität der krisengeschüttelten Amerika unsere Tage koppeln: Das beginnt bereits in der beeindruckenden Titelsequenz, die von der Folk-Hymne "This Land Is Your Land" von Woody Guthrie untermalt wird, zieht sich durch die Entlassungsgespräche, für die Reitman Menschen castete, die tatsächlich im Rahmen der Wirtschaftskrise entlassen worden waren, bis hin zum Abspann, in der abermals ein Song für die harsche Kontrastierung von Ryans Scheinwelt und der bedrückenden Realität in Krisenzeiten sorgt.

Am Ende wird Ryan zwar sein unstetes Wanderleben wieder aufnehmen können. Doch der Unterschied zum Anfang ist, dass er nun darum weiß, wie armselig, bindungsunfähig und zynisch sein Leben doch ist. Mit diesem Wissen als Gepäck in dem imaginären Rucksack erneut auf Reisen zu gehen – das ist wahrlich kein Vergnügen, sondern kommt schon beinahe einem Fluch und einer Verbannung gleich, die jener des Sisyphos in Nichts nachsteht.

Würde Frank Capra heutzutage Filme drehen – sie würden wohl so ähnlich aussehen wie Up in the Air. Ein größeres Kompliment kann man eigentlich einem ebenso humorvollen wie ernsten und anspruchsvollen Film wie diesem kaum machen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/up-in-the-air