Nanga Parbat (2010)

Bruderliebe und Überlebenskampf am „Schicksalsberg der Deutschen“

Eine Filmkritik von Paul Collmar

Der Nanga Parbat, der von den Bewohnern der Gegend auch "Diamir" (zu deutsch: "König der Berge") genannt wird, gilt nicht nur als eine der schwierigsten bergsteigerischen Herausforderungen auf der Welt, sondern seit den 1930er Jahren auch als "Schicksalsberg der Deutschen". Diesen pathetischen Beinamen hat dem "Berg der Bläue" mit seinen 8125 Metern die nationalsozialistische Presse gegeben, da diverse von den Nazis initiierte Expeditionen etliche Todesopfer gefordert hatten. Überhaupt hat der Nanga Parbat bis heute einen enormen Blutzoll gefordert, bis Ende 2008 kamen bei Expeditionen 66 Menschen zu Tode. Unter den Opfern, die dort den Tod fanden, befindet sich auch Günther Messner, der Bruder der Bergsteigerlegende Reinhold Messner, der 1970 nach erstmaliger Durchquerung der Rupal-Steilwand und geglückter Besteigung auf dem Rückweg von einer Lawine erfasst und in die Tiefe gerissen wurde. Von den dramatischen Umständen dieser Besteigung und dem persönlichen Drama der zwei jungen Brüder aus Südtirol erzählt Joseph Vilsmaier bildgewaltig und durchaus spannend und bewegend in seinem Film Nanga Parbat. Für Reinhold Messner, der bei dem Unglück nicht nur seinen Bruder verlor, sondern der sich auch über viele Jahre hinweg haltlose Anschuldigungen über seinen angeblichen Leichtsinn anhören musste, dürfte dieser Film, für den er als Berater dem Regisseur zur Seite stand, hoffentlich den Abschluss des jahrzehntelangen Traumas bedeuten. Auch wenn es ihn vermutlich enorm geschmerzt haben dürfte, die schrecklichen Ereignisse auf der Kinoleinwand zu sehen.

Die Geschichte beginnt in Südtirol, wo Günther (Andreas Tobias) und Reinhold (Florian Stetter) davon träumen, einmal die enge Welt ihrer Heimat zu verlassen und in der Ferne die gefährlichsten Gipfel der Welt zu erklimmen. Dass die beiden klettern können, zeigen sie im Sommer 1968, als sie als erste Bergsteiger den Heiligkreuzkofel in den Dolomiten bezwingen. Ein Jahr später kommt dann endlich die ersehnte Chance: Auf Einladung des bekannten Expeditionsleiters Dr. Karl Maria Herrligkoffer (Karl Markovics) soll Reinhold - zunächst ohne seine Bruder - bei der Erstbegehung der 4.500 Meter hohen Rupal-Steilwand des Nanga Parbat teilnehmen. Doch das Schicksal will es anders: Da kurzfristig ein Expeditionsteilnehmer ausfällt, erhält Günther die Chance, das Abenteuer gemeinsam mit seinem Bruder zu wagen. Doch was als Abenteuer beginnt, gerät im Verlauf der Expedition zu einer Tragödie, die die beiden Brüder auseinanderreißen wird.

Nanga Parbat, Joseph Vilsmaiers neuer Film überzeugt vor allem durch seine grandiosen und aufwendig inszenierten Bilder, die das Filmteam bis in Höhen von 7100 Meter über dem Meeresspiegel führte. Die atemberaubende Schönheit der unwirtlichen Bergwelt liefert den Hintergrund für ein Drama um Bruderliebe, Abenteuerlust, Pioniergeist und Entbehrungen, das in seiner emotionalen Wucht trotz einiger grober Vereinfachungen und klischeehaften Figurenzeichnungen durchaus zu bewegen weiß, was neben den Bildern auch an der hervorragenden Filmmusik von Gustavo Santaolalla (Brokeback Mountain, Babel) liegt, die allerdings den Kontrast zwischen Vilsmaiers enormem Anspruch und manchen weniger bewegenden Szenen (vor allem sind dies jene Sequenzen, die Günthers und Reinholds familiäres Umfeld schildern) umso deutlicher werden lässt. Zudem fehlen bei Vilsmaier wichtige psychologische Entwicklungsstränge wie der überaus autoritäre Vater der beiden Hippie-Bergsteiger völlig, verschieben sich Akzente gegenüber Messners eigenen Erinnerungen. So sind es vor allem die beeindruckenden Bilder der majestätischen Bergwelt, die so manches dramaturgische Manko ausgleichen müssen, was mal mehr, mal weniger gelingt.

Nach Philipp Stölzls nicht nur thematisch verwandtem Film Nordwand ist auch Nanga Parbat ein weiteres Indiz dafür, dass der Bergfilm, jenes urdeutsche Subgenre, auch Jahrzehnte nach Arnold Fanck und Luis Trenker noch faszinieren kann. Der Hang nach Höherem, die Hyperbolik und das Faustische, das sich im Kampf Mann gegen Berg ausdrückt, es gehört anscheinend untrennbar zur deutschen (bzw. deutschsprachigen) Mentalität dazu. Nicht nur deshalb fügt sich dieser Film nahtlos in das bisherige Werk Vilsmaiers ein, dessen Filme – sei es nun beabsichtigt oder nicht – einiges mehr über das Gefühlsleben und das kulturelle Gedächtnis der Deutschen erzählen als die meisten Dokumentationen zu diesem Thema.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/nanga-parbat-2010