Die Frau mit den 5 Elefanten (2009)

Die Weisheit in Person

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

In den Zirkeln der Literatur ist Swetlana Geier eine feste Größe. Normalerweise stehen Übersetzer im Literaturbetrieb eher im Schatten, doch die Übersetzerin der Werke Dostojewskis ist diesem Dunkel spätestens im Jahre 1994 entkommen, als sie eine Neuübersetzung von Schuld und Sühne vorlegte, die den neuen und viel treffenderen Titel Verbrechen und Strafe trug. Seitdem kennt man sie als "die Frau, die Dostojewski wieder zum Klingen gebracht hat." Vadim Jendreyko hat sich mit seinem Film Die Frau mit den 5 Elefanten der Übersetzerin angenähert und zeichnet ein vielschichtiges und faszinierendes Porträt einer Frau, die durch Weisheit und eine unendlich große Liebe zur Sprache – zur deutschen wie zur russischen – fasziniert. Was anfangs wie ein typisches Fernsehporträt anmutet, gewinnt dank der immensen Ausstrahlung der Protagonistin bald eine ungeheure Strahlkraft, die aus diesem Film mehr macht als nur ein Porträt einer gefeierten Übersetzerin.

Ihre 5 Elefanten nennt Swetlana Geier am Ende des Films liebevoll ihre Neuübersetzungen von Dostojewskis Romanen Verbrechen und Strafe, Böse Geister (bislang bekannt als Die Dämonen), Der grüne Junge (vormals: Der Jüngling), Die Brüder Karamasow und Der Idiot. Für ihre Arbeiten an den Romanen nimmt sich Geier, die dank eines Lehrauftrags an der Universität finanziell stets unabhängig war, viel Zeit. Wie diese Übersetzungen entstehen, davon erzählt unter anderem dieser Film. Er zeigt Frau Hansen, die Swetlana Geiers Übersetzungen wie eine Sekretärin auf der Schreibmaschine festhält und Herrn Kloth, den gewissenhaften Revisor, der im nächsten Arbeitsschritt die so entstandenen Seiten vorliest und mit der Übersetzerin gewissenhaft Zeile für Zeile, Satz für Satz durchgeht – was in manchen Szenen beinahe wie ein Loriot-Sketch wirkt, wenn die agile Frau um jedes Wort kämpft, erklärt, zu überzeugen versucht. Bei aller milden Schrulligkeit wirken Sequenzen wie diese aber niemals denunzierend, sie sorgen viel eher für lichte, heitere Momente in einem Film, der sich eigentlich eher mit einer trockenen Materie auseinandersetzt.

Doch es sind nicht nur die Konstellationen, die dem Porträt diesen unvergleichlichen Ton zwischen Situationskomik, Tiefgang und liebevoller Figurenzeichnung geben. Auch Szenen wie die Familienzusammenkünfte im wundervollen Haus der Übersetzerin in Freiburg, ihre Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend in Kiew, an die Gräuel von Stalins Säuberungen, denen ihr Vater zum Opfer fiel, an Begegnungen mit den deutschen Besatzern während der Zweiten Weltkrieges und an die Übersiedlung nach Deutschland im Jahre 1943 ergänzen das Bild und geben Einblicke in ein Leben voller Rückschläge und Kehrtwendungen. Schließlich bricht Swetlana Geier aufgrund einer Einladung in Begleitung ihrer Enkelin Anna nach 65 Jahren zu einer Reise in die Ukraine auf, es ist eine Begegnung mit den Gespenstern der Vergangenheit, denen sie sich mutig stellt.

Dank großer Brennweiten, die immer wieder Details wie Großaufnahmen der Hände von Swetlana Geier in den Film einstreuen, gewinnt das Porträt eine große Nähe zu seiner Protagonistin. Trotzdem ist der Film in entscheidenden Momenten (etwa dann, wenn Swetlana Geiers Sohn Johannes an den Folgen eines Arbeitsunfalls im Alter von 50 Jahren stirbt) ganz diskret, zieht sich der Regisseur zurück und lässt der Übersetzerin Raum für Emotionen und Gefühle. Man spürt, dass die Zusammenarbeit zwischen Jendreyko, seinen ausgezeichneten Kameraleuten und Swetlana Geier von gegenseitigem Respekt und so etwas wie Freundschaft geprägt war. Und man wünscht sich, dass es mehr solcher Dokumentationen gäbe, in denen diese Atmosphäre mitschwingt, die aus Die Frau mit den 5 Elefanten eine echte dokumentarische Kostbarkeit macht – nicht nur für Freunde der Literatur Dostojewskis.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-frau-mit-den-5-elefanten-2009