She, a Chinese

Jenseits des Mainstreams

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Ein Film über eine Chinesin, aber kein typisch chinesischer Film: Regisseurin Xiaolu Guo bricht bewusst mit dem Arthouse-Stil und dem Erzählkino vieler ihrer Kollegen. Beim Filmfestival in Locarno erhielt sie für ihr intensives Porträt einer Jugend im Zeitalter der Globalisierung den Goldenen Leoparden.
Die 36-Jährige Xiaolu Guo hatte sich schon einen Namen als Schriftstellerin gemacht, bevor sie ihr Filmstudium begann. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen misstraut sie erzählerischen Konventionen, wie sie vor allem in Hollywood gang und gäbe sind. She, a Chinese ist mehr ein filmischer Essay als eine traditionell gebaute Geschichte. Der Film lebt von seinem Rhythmus und dem wilden Punkrock, den John Parish, Produzent von PJ Harvey, eigens für den Film komponierte. Seine Songs sind alles andere als emotionale Verdoppler des Gezeigten. Sie setzen Kontrapunkte zum Fluss der Handlung und verkörpern eine Energie, die unsichtbar bleibt, weil tief versteckt im Innern der Hauptdarstellerin. Mit ihrer Wucht reißen sie den Zuschauer aus der Illusion des Erzählkinos, die ihn den fiktiven Charakter des Schauspiels vergessen lässt. Demselben Verfremdungseffekt dienen die kommentierenden, teilweise ironischen Zwischentitel zwischen den einzelnen Episoden.

Trotzdem enthält She, a Chinese narrative Elemente und folgt einer klaren Chronologie. Erzählt wird die Geschichte der jugendlichen Mei (Huang Lu), die in einem kleinen Dorf in China lebt, wo die Straßen bei Regen im Schlamm versinken. Trotz der ländlich-bäuerlichen Kultur, in der sie aufgewachsen ist, unterscheidet sich Mei kaum von einer Pubertierenden in irgendeiner amerikanischen oder europäischen Großstadt. Sie ist eigensinnig, fürchterlich angeödet und scheint nur mit ihrem MP3-Player zu kommunizieren. Langeweile und Weltekel scheinen sich auf ewig in ihr Gesicht gebrannt zu haben. Aber da ist noch dieser unstillbare Freiheitsdrang, der sie in die Arme verschiedener Männer und in die Fremde treibt, zuerst in eine chinesische Großstadt und dann nach London. Im Grunde geht sie aber auf die Suche nach sich selbst, nach einer Heimat, die kein geografischer Ort ist. Von ihren wechselnden Liebhaber wird sie nur vorübergehend abhängig. Am Ende bleibt sie die Stärkere. Ihr unbedingter Wille zur Autonomie mahnt sie jedes Mal zur Flucht.

Das Gesicht der Hauptdarstellerin Huang Lu wird vermutlich am eindrücklichsten in Erinnerung bleiben von diesem Film, dessen Plot manchmal auf der Stelle tritt. Huang Lu verkörpert die Einsamkeit der jungen Frau mit bewundernswerter Selbstvergessenheit. Jeder Gefühlsausdruck kommt direkt aus dem Unbewussten, die Figur wird allein vom Bauchgefühl gesteuert. Unvergesslich, wie Mei in London in einem Pandabären-Kostüm steckt, um Werbung für ein chinesisches Restaurant zu machen. In ihrem Gesicht spiegeln sich zugleich das ganze Unglück und der ganze Trotz einer Heranwachsenden, die sich ihren Platz in dieser Welt noch erobern muss.

In einem Interview hat die Regisseurin gesagt, dass der Filmtitel zunächst nur "Chinese" lauten sollte, in Anspielung an Jean-Luc Godards Die Chinesin / La Chinoise aus dem Jahr 1967. Darin steckt einerseits eine Verbeugung vor Godards anti-narrativem Kino. Andererseits verrät die Anspielung einen Sinn für die Ironie der Historie. Während Godard damals das Heil im Maoismus suchte und eine Bewegung von West nach Ost unternahm, gehen die rebellischen jungen Chinesen heute den umgekehrten Weg. In einem gewissen Sinn ist She, a Chinese letztlich doch ein chinesischer Film. Er porträtiert eine Generation junger Menschen in ihrem ganz besonderen Spagat zwischen kultureller Prägung und den unbegrenzten Möglichkeiten der globalisierten Welt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/she-a-chinese