Robin Hood (2010)

Der Mann, der Robin Hood war

Eine Filmkritik von Lida Bach

"Sich erheben, immer und immer wieder, bis die Lämmer zu Löwen werden." So steht es geschrieben – als Titelsatz zu Ridley Scotts "Robin Hood", der heute außer Konkurrenz die Filmfestspiele in Cannes eröffnet, und eingraviert auf dem Schwert, mit welchem der Titelheld seine Bestimmung findet: "Die Inschrift auf dem Schwert, die weckt irgendwas in mir. Ich weiß nicht, was es ist. Keine Ahnung." Gibt sich ein Filmcharakter so betont ahnungslos, muss es eine besondere Bewandtnis mit diesen Worten auf sich haben. In Scotts Verfilmung der angelsächsischen Volkssage von Robin Hood erinnert der Spruch an das Schicksal der Titelfigur. Immer und immer wieder muss der Bogenschütze sich als gegen die korrupte Obrigkeit erheben, bis aus der Gestalt der mittelalterlichen Ballade ein völlig anderer geworden ist. Robin Hood gibt ein zwar eindrucksvoll inszeniertes, aber wenig hintergründiges Beispiel für solch eine Entmystifizierung ab.

Robin Hood ist eigentlich gar nicht Robin Hood. Der in der Legende zum Volkshelden verklärte Adelige Robert of Loxley (Douglas Hodge), der im 15. Jahrhundert gegen die Franzosen kämpfte, fällt in einer frühen Szene des Films einem Hinterhalt zum Opfer. Der flüchtige Deserteur Robin Longstride (Russell Crowe) und seine Verbündeten Little John (Kevin Durand) und Will Scarlett (Scott Grimes) finden den tödliche Verwundeten. Loxley nimmt Robin das Versprechen ab, sein Schwert mit besagter Inschrift seinem Vater (Max von Sydow) zu übergeben. Beide, Robin und Loxley, kämpften vorher im gleichen Heer von König Richard Löwenherz (Danny Huston), der auf seiner Rückkehr von den Kreuzzügen plündernd durch Frankreich zieht. Überredet von Sir Loxley, dem der Verlust seiner Ländereien droht, gibt sich Robin als dessen Sohn, den heimgekehrten Gatten Lady Marions (Cate Blanchett) aus. Systematisch entkernt Scott die Legende, indem er mit harschen Bildern zeigt, wie die Wahrheit hinter der mündlichen Überlieferung aussehen könnte. Robin Hood ist ein heruntergekommener, ein kriegsmüder Dieb. Und dementsprechend ist in seiner Geschichte beinahe alles nur geklaut: Die Kleidung, die Partnerin und sogar der Name.

Mit Robins Ankunft am Schauplatz der Sage verfliegt der anfängliche Anspruch auf historische Authentizität jedoch rasch. Dieser gealterte Robin Hood, so scheint es, hat nur jemanden gebraucht, der ihm seinen vorbestimmten Platz im Leben und der Populärgeschichte zuweist. Bruder Tuck (Mark Addy) bleibt indes wie den „Merry Men“ nur ein Kurzauftritt vergönnt, der kaum mehr als ein pflichtschuldiges Abhandeln der historischen Vorbilder jener fiktiven Charaktere sind. Selbst der Sheriff von Nottingham (Matthew MacFayden) bleibt lediglich eine Randfigur. Gekämpft wird hier vor allem gegen französische Invasoren, geführt vom heimtückischen Sir Godfrey (Mark Strong). Was Scott sich zuerst an Romantisierung verbot, holt er nun umso intensiver nach. Den wohl populärsten Steuersünder der Geschichte idealisiert er zum Bürgerrechtler und Landesverteidiger. Doch je mehr jener Held mit falschem Namen in seine neue Rolle hineinwächst, desto ernüchternder gestaltet sich diese Heldensage für den Zuschauer. Der Wechsel vom kritischen Geschichtsepos zum verklärten Abenteuerfilm bewirkt letztendlich, das Scotts außer Konkurrenz laufender Beitrag in Cannes in keiner Kategorie völlig überzeugen kann. Die diversen Unstimmigkeiten schlagen sich auch bei den Charakteren nieder, deren Darsteller sich niemals voll entfalten können.

Wie der Titelheld, so tritt auch Scotts Film unter falschem Namen auf. Über weite Strecken gleicht Robin Hood einer Zusammenballung der historischen Stoffe, welche Scott noch unbedingt verfilmen wollte: Jeanne D'Arc, gleich der Marion in die Schlacht reitet, Shakespearesches Theater und mittelalterliches Kriegsgetümmel. Das Ende zeigt den Helden, ganz der sagenumwobene Held, im malerischen Sherwood Forest, wo laut Marion "die Natur den Tisch für alle deckt". Der Sheriff erklärt den Gesetzlosen für vogelfrei. Schon durchbohrt ein Pfeil den Haftbefehl. "Die Legende beginnt.", verspricht eine Titelkarte - im Kino beginnt der Abspann. Man wünscht, der Regisseur hätte konsequent ein realistisches Historiendrama gedreht oder in Anlehnung an die Worte eines anderen Mr. Scott gehandelt: "When the legend becomes fact, shoot the legend."
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/robin-hood-2010