Amphetamine

Hongkong Love Affair

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Zwischen den Stühlen sitzen sie beinahe all in diesem Film: Da ist beispielsweise Kafka (Byron Pang), der junge Schwimmlehrer, der ständig seinen Look wechselt, so dass man sich immer wieder an seinen neuen Anblick gewöhnen muss. Atemlos hetzt er von Job zu Job, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen und für seine kranke Mutter zu sorgen – der Vater ist bereits vor längerer Zeit gestorben. Um sein stressiges Leben überhaupt bewältigen zu können, wirft er massenhaft Amphetamine ein. Dann lernt Kafka den schwulen Börsenmakler Daniel (Thomas Price) kennen, der mitten in den ersten großen Wellen des finanziellen Tsunami eine heftige und verwirrende Affäre mit Kafka beginnt. Kafka, dessen Name nicht von dem europäischen Dichter, sondern von einem Roman Haruki Murakamis entliehen ist, gibt dem Werben Daniels zwar nach, doch zugleich stürzt ihn die Affäre in einen tiefe Krise – weil er sich bislang als ausschließlich hetero begriff. Und weil es eine Episode in seiner Vergangenheit gibt, die er vollkommen aus seiner Erinnerung getilgt hat...
Amphetamine putschen auf und wirken euphorisierend. Zumindest in der Übertragung ins Chinesische hat das Wort aber auch noch eine andere Bedeutung – es ist ein Synonym für die schicksalhafte Kraft der Liebe. Insofern ist der Titel des neuen Films von Scud aus Hongkong trefflich gewählt: Denn hier geht es um die Rauschhaftigkeit von Liebe und Drogen, um eine Liebe, die zu Schicksal wird, die aufpuscht und verschleißt. Eingebettet hat Scud seine Geschichte in teilweise verstörend schöne Bilder, die aller Dynamik zum Trotz immer wieder wie erstarrt wirken und bisweilen mehr auf die Oberflächenwirkung schauen als auf ihren emotionalen Gehalt. Ihre große Künstlichkeit sieht teilweise aus, als sei sie direkt der Bildprogrammatik von Pierre et Gilles abgeschaut, sie imitiert Werbeästhetiken und den Hochglanzlook diverser Lifestyle-Publikationen – was mit zunehmender Dauer des Films nicht so recht zu den behaupteten Emotionen von Amphetamine passen mag. Doch vielleicht geht es ja genau darum: Welchen Platz haben Gefühle in einer Welt, die sich selbst so clean, so aseptisch gibt? Und wie ist es um das Verhältnis von (natürlich trügerischer) Oberfläche und (emotionaler) Tiefe und Wahrhaftigkeit bestellt? Auch wenn man sich nie ganz sicher sein kann, dass Scud auf diesen Zwiespalt abzielt – es sind Assoziationen, die sich förmlich aufdrängen. Zumal dass Zwiespältige und Ambivalente sowieso das eigentliche (ästhetische wie auch narrative) Grundprogramm von Amphetamine zu sein scheint. Die Einordnung dieses Film fällt dadurch nicht wirklich leichter.

Die Atemlosigkeit, mit der Scud von den brüchigen und hybriden Existenzen erzählt, transportiert vor allem ein Lebensgefühl – das der Rauschhaftigkeit und Vergänglichkeit, der Flexibilisierung als Folge der Globalisierung, die aus allen Menschen Mischwesen macht, die sich beinahe jeder Rollenzuschreibung, jeder Identität und Identifizierbarkeit entziehen. Man kann dieses irrlichternde Erzählen, diese Invasion an Zeichen und Erzählsträngen, an narrativen Fragmenten und stilistischen Puzzleteilen anstrengend finden und auch ein wenig beliebig. Zugleich aber muss man anerkennen, dass sie unsere verrückte Zeit auch ziemlich zutreffend beschreibt.

(Joachim Kurz)

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Kafka (Byron Pang) hat ganz schön zu strampeln. Seinen kargen Lebensunterhalt verdient er sich gleich mit drei Jobs: Und zwar als Schwimmlehrer, Kung-Fu-Trainer und mit dem Ausliefern von Essen. Seine Mutter ist sehr krank, sein Vater hat sich umgebracht als Kafka noch ein Kind war. Jetzt hat ihn auch noch seine Freundin May (Linda So) verlassen. Ein sexueller Missbrauch in der Vergangenheit verfolgt ihn bis in seine Träume hinein. Ein glückliches Leben sieht anders aus. Kein Wunder, dass Kafka ein ernsthaftes Drogenproblem hat. Die Drogen halten ihn nicht nur endlos lange wach, sondern gaukeln ihm auch eine gute Portion Glückseligkeit vor.

Gleich am Anfang des Films tritt der charmante Daniel (Thomas Price) in Kafkas Leben. Gerade von Australien nach Hongkong zurückgekehrt, verdient er sich sein Geld als junger aufstrebender Manager in der Finanzbranche. Daniel scheint alles das zu haben, was Kafka nicht hat, vor allem Geld. Die beiden gehen eine Beziehung miteinander ein. Obwohl Kafka eigentlich nicht schwul ist, fühlt er sich zu Daniel hingezogen. Die unfertige Tsing-Ma-Brücke, eine der längsten Hängebrücken der Welt, ist ein Gradmesser für ihre Beziehung. Die Brücke ist noch nicht in der Mitte verbunden, eine Lücke klafft zwischen beiden Enden. Und genau dieses Verbindungsstück fehlt in der Beziehung der beiden Männer. Dennoch haben die Jungs eine Menge Spaß und vergnügen sich mit LSD, Bungeejumping und auf Partys. Doch Kafka hat ein schweres Päckchen Schicksal zu tragen, von dem ihn auch Daniel nicht so leicht erlösen kann.

Amphetamine ist keine leichte Kost. Tod, Verlust und Missbrauch sind die dominierenden Themen. Leider ist alles viel zu stark aufgeblasen und pathetisch. Wenn die Kamera mal wieder zu lange auf den nackten, erotischen Körperteilen verweilt, driftet der Film leicht ins Pornogenre ab. Hongkong-Filmfans werden garantiert enttäuscht sein. Dieser Film kann ihm üppigen Berlinale-Festivalprogramm getrost vernachlässigt werden.

Amphetamine, der nicht mit nackter männlicher Haut zu geizen vermag, ist nicht der erste homoerotische Film von Hongkong-Regisseur Scud, der mit richtigen Namen Danny Cheng Wan Cheung heißt. Sein Debütfilm City Without Baseball (2007) über schwule Basketballspieler löste seinerzeit heftige, teils schwulenfeindliche Kontroversen in Hongkong aus. Auch sein letzter Film Permanent Residence (2008) erzählt die Liebesgeschichte zwischen einem heterosexuellen und einem schwulen Mann.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/amphetamine