Daniel Schmid - Le chat qui pense

Die Macht der Fantasie

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Er war einer der innovativsten Filmemacher der 1970er und 1980er Jahre. Doch sein Werk ist, ähnlich wie das seines Freundes Werner Schroeter, nur noch Insidern vertraut: Daniel Schmid. Mit ihrem einfühlsamen Dokumentarfilm zeichnen die Schweizer Pascal Hofmann und Benny Jaberg ein stimmungsvolles Porträt ihres Landsmanns.
Ingrid Caven, die Hauptdarstellerin mehrerer Schmid-Filme, war anfangs ziemlich skeptisch gegenüber dem Vorhaben, wie sie bei der Uraufführung des Films auf der Berlinale bekannte. Obwohl sie sich für den Film interviewen ließ, hatte sie so ihre Zweifel, ob die jungen Filmemacher (es ist ihr Langfilmdebüt) sich in den Zeitgeist von vor 40 bis 50 Jahren würden hineinversetzen können. Aber die Film- und Chanson-Diva war sichtlich zufrieden und gerührt von dem Ergebnis.

Pascal Hofmann hatte eigentlich ideale Voraussetzungen für den Film. Er stammt aus Flims, demselben Dorf in den Bündner Bergen, in dem Daniel Schmid als Hoteliersohn aufwuchs. Hofmann hatte schon als Jugendlicher den Filmemacher kennen gelernt und begann im Winter 2006 mit dem Projekt. Doch ein halbes Jahr später starb Daniel Schmid an den Folgen eines zurückgekehrten Krebsleidens. Das Projekt stand auf der Kippe. Mit älterem Interviewmaterial ließ es sich in veränderter Form doch noch realisieren – nicht zuletzt dank der aktuellen Mitwirkung von Ingrid Caven, Werner Schroeter, der Schauspielerin Bulle Ogier und dem Kameramann Renato Berta.

Der Film zeichnet Leben und Werk chronologisch nach, durchsetzt von Filmausschnitten und poetischen (Stadt)Landschaftsaufnahmen. Dabei gelingt den beiden Dokumentarfilmern etwas sehr Bemerkenswertes: Sie greifen die Stimmung und zum Teil die Bildsprache von Schmids Werken in ihrem Film auf. So machen sie das Anliegen von Schmid, Schroeter, Caven und teilweise auch Fassbinder für einen kurzen Moment zu ihrem eigenen, lassen es für 83 Minuten wieder aufleben: Durch eine stilisierte, künstliche geschaffene neue Wirklichkeit eine Wahrheit zum Vorschein zu bringen, die in der normalen Realität verborgen bleibt.

Schon in seiner Kinder- und Jugendzeit lebte Daniel Schmid in einer Welt, in der die Fantasie einen großen Stellenwert hatte. Das Treiben in der Halle des mondänen Hotels, in dem Künstler und Lebenskünstler ein- und ausgingen, vergleicht er mit einer Bühne, mit theatralischen Auftritten, mit der Lust, sich herausgeputzt zur Schau zu stellen. Natürlich lagen Schmid und Schroeter mit ihrer Liebe zur Oper nicht auf der Klassenkampf-Linie der 68er-Bewegung. Trotzdem waren sie wie der ebenfalls homosexuelle Fassbinder Teil dieses Aufbruchs, der ihnen ganz neue Freiheiten eröffnete, gerade auch in sexueller Hinsicht.

Der Film zeigt die konfliktreiche Freundschaft mit Rainer Werner Fassbinder, dem großen Provokateur, dessen selbstzerstörerische Tendenzen Schmid glücklicherweise nicht teilte. Er erzählt auch von der Pariser Wohngemeinschaft, in der Schmid mit Schroeter und Caven lebte. Vor allem aber bietet Daniel Schmid – Le chat qui pense einen Einblick in den träumerisch-opulenten Stil von Schmids wichtigsten Filmen, unter anderem La Paloma (1974), Schatten der Engel (1976), Der Kuss der Tosca (1984), Jenatsch (1987) und Beresina oder die letzten Tage der Schweiz (1999).

Prominent platziert ist in dem Film ein Ausspruch von Daniel Schmid über das Wesen des Porträtierens: "Wenn du jemanden beschreibst, beschreibst du eigentlich dich selbst." Diesen Satz haben die Filmemacher sehr ernst genommen und sich klar zu ihrer Subjektivität bekannt. Aber selbst wenn ihr Film keine objektiven Wahrheiten liefern kann, so trifft Schmids Diktum auf diese Doku vielleicht am wenigstens zu, und das sehr zu ihrem Vorteil. Wer da mit großer Wärme und Anteilnahme beschrieben wird –– das ist wirklich Daniel Schmid.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/daniel-schmid-le-chat-qui-pense