Waffenstillstand

Zwischen den Fronten

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

In einer globalisierten und von Medien geprägten Welt kann man dem Krieg nicht entkommen - ganz gleich, ob sich eine Nation wie Deutschland nun daran beteiligt wie im Falle Afghanistans (auch wenn man davor zurückschreckt, das Wort "Krieg" überhaupt in den Mund zu nehmen) oder eben nicht wie im Irak-Krieg. Weil die mediale Berichterstattung längst ein wichtiger Teil der Kriegsführung geworden ist und Neutralität sowie der Blick auf die (zivilen) Opfer des Krieges im Umfeld des "embedded journalism" schwer fallen. Von diesem Krieg der Bilder und Informationen und den Folgen der Jagd nach möglichst eindrücklichen Nachrichten erzählt Lancelot von Nasos mehrfach ausgezeichneter Debütspielfilm Waffenstillstand, der im Irak des Jahres 2004 angesiedelt ist. Obwohl der Film mit kleinem Budget in Marokko gedreht wurde, gelingt es Waffenstillstand, ein authentisch wirkendes und ungemein spannendes Bild des Lebens im Chaos der Zeit nach dem Sturz Saddam Husseins zu zeichnen.
Im Irak ist zwar der Krieg offiziell am 1. Mai 2003 zu Ende gegangen, doch die Kämpfe zwischen den Aufständischen und den alliierten Truppen unter Führung der USA dauern auch ein Jahr später noch an, die Situation gleicht dem sprichwörtlichen Pulverfass. In dieser angespannten Lage erfährt der junge deutsche TV-Reporter Oliver (Max von Pufendorf) von einem Militär, dass in der umkämpften Stadt Falludscha ein 24-stündiger Waffenstillstand ausgehandelt wurde. Oliver wittert darin die Chance, gemeinsam mit seinem Kameramann Ralf (Hannes Jaennicke) als erstes und einziges Reporterteam einen Bericht über die Lage in Falludscha zu machen. Doch der erfahrene und besonnene Ralf zögert zunächst und mag sich nicht auf das Abenteuer einlassen, schließlich willigt er ein und bleibt doch voller Zweifel. Gemeinsam mit einem einheimischen Fahrer (Husam Chadat), dem desillusionierten französischen Arzt Alain (Matthias Habich) und Kim (Thekla Reuten), der Leiterin einer Hilfsorganisation, die dringend benötigte Hilfsgüter nach Falludsacha bringen wollen, machen sich die zwei Reporter auf in die umkämpfte Stadt. Es wird eine Reise ins Ungewisse, bei der nichts läuft wie geplant...

Ein 24-stündiger Waffenstillstand in einem Krieg, der eigentlich längst zu Ende ist, in dem aber die "Befreiten" immer noch gegen die "Befreier" kämpfen und niemand mehr so recht weiß, wer eigentlich auf welcher Seite steht – das ist die reichlich absurde Ausgangssituation dieses sehr dichten und intensiven Filmes, der in seiner Grundkonstellation beinahe schon wie eine moderne Version von John Fords Western Stagecoach / Ringo aus dem Jahre 1939 erinnert. Hier wie dort sind vier Personen auf engstem Raum durch ein Gebiet voller Gefahren unterwegs, lauert der Feind an jeder Ecke, werden die Insassen, die eigentlich das gleiche Ziel verfolgen, zu Kontrahenten mit unterschiedlichen Auffassungen, die die jeweils anderen in tödliche Gefahr bringen.

Anders als bei Kathryn Bigelows unlängst vielfach prämierten Film The Hurt Locker geht es hier nicht um die Soldaten (sie tauchen nur am Rande auf und wirken nicht gerade sympathisch oder vertrauenserweckend), sondern um all die anderen Menschen, die aus den unterschiedlichsten Motiven im Irak sind: Die einen wie Alain und Kim wollen helfen um jeden Preis – und gehen gleichzeitig sonderbar leichtfertig mit ihrem eigenen Leben um. Die anderen wie Oliver und Ralf sind auf der Jagd nach möglichst spektakulären Bildern und Stories und verlieren dabei das eigentliche Leid der Iraker aus den Augen – bis sie selbst ins Kreuzfeuer der verfeindeten Parteien geraten.

Leider ist genau dieser der Fehler, der nicht nur den beiden Reportern, sondern auch ein wenig dem durchaus packend und mitreißend inszenierten Film unterläuft – worin er übrigens vielen Kriegsfilmen der letzten Jahre gleicht: In der Beschränkung des Blicks auf die Insassen des Busses gerät das alltägliche Leid der Zivilbevölkerung zur Nebensache. Vielleicht ist diese Verengung des Blickes auf die Binnenkonstellation der Businsassen ja dem schmalen Budgetrahmen geschuldet, der zudem von einer wahren Flut an Katastrophen während der Dreharbeiten zusätzlich strapaziert wurde. Umso höher ist die enorme Dichte des Dramas einzuschätzen, das trotz diverser Beschränkungen und Hindernisse überaus spannend geraten ist.

Und so ist Lancelot von Nasos Film trotz mancherlei Schwächen in der Figurenzeichnung eine absolute Ausnahmeerscheinung im Einerlei deutscher Debütproduktionen: Statt dem üblichen Coming-of-age-Quatsch wagt er einen Blick auf das Hier und Jetzt und skizziert dabei eine Konstellation, die durchaus als Gleichnis auf die deutsche Außenpolitik in den Krisengebieten dieser Welt zu sehen ist: Im Krieg, so macht Waffenstillstand deutlich, gibt es keine Unbeteiligten mehr – in der Allgegenwart der Gewalt werden alle zu Opfern und Tätern zugleich, die im Kriegsgebiet eine Funktion ausüben – sei es als Soldat, als Arzt oder Mitglied einer Hilfsorganisation oder als Reporter, als Kriegsberichterstatter. Zugegeben: Diese Erkenntnis ist beinahe schon eine Binsenwahrheit. Sie markiert aber auch einen Anfang in der Beschäftigung mit den Verwicklungen Deutschlands in einen Konflikt, an dem es gar nicht teil nimmt. Zumindest nicht offiziell. Man kann nur hoffen, dass diesem ersten Schritt der noch zaghaften Aufarbeitung weitere folgen werden.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/waffenstillstand