Ein gutes Herz

Freundschaft verlängert das Leben

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Der junge obdachlose Lucas (Paul Dano) füttert ein kleines Kätzchen. In seinem mit einer Plane abgedeckten Bretterverschlag singt er das Tier in den Schlaf, doch er selbst setzt sich nachts wieder hinaus, irgendwo unter einer Straßenbrücke in New York. Sein Blick ist unendlich traurig. In der Klinik, in die Lucas nach seinem Selbstmordversuch eingeliefert wird, wird er sagen, er gehöre nicht zu den Starken, die den Überlebenskampf gewinnen. Auch im Krankenzimmer liegt der Junge so verängstigt, als befürchte er, weggejagt zu werden. Und tatsächlich wird er aufgescheucht, sein Zimmergenosse Jacques (Brian Cox) befiehlt ihm, den Rauchmelder auszuschalten, weil er sich im Bett eine Zigarette anzünden will. Der junge Mann gehorcht, auch wenn ihn die Tat sichtlich weit hinaus aufs Glatteis treibt.
Jacques ist ein grauhaariger, ungepflegter Choleriker, der wegen einer Herzattacke eingeliefert wurde. Es ist nicht seine erste, denn in der Klinik ist er bestens bekannt, eine Schwester begrüßt ihn mit der Frage, warum er nicht einfach sterben könne. Jacques pöbelt das Personal hemmungslos an, und dieses fährt seine Krallen aus. Auch hier in Räumen, die der Pflege und Heilung dienen, zeigt sich New York wählerisch in seinen Gunstbeweisen. Diesmal kommt Lucas in ihren Genuss. Aber es ist Jacques, der den Jungen nach der Entlassung aus seiner Obdachlosenhütte aufklaubt und ihn in die schummrige Kneipe mitnimmt, die er besitzt. Wenn sein Herz demnächst für immer aussetzt, soll Lucas das Lokal weiterführen.

Der isländische Filmemacher Dagur Kári stellt die Freundschaft der beiden ungleichen Verlierertypen in den Mittelpunkt seines neuen Spielfilms nach Dark Horse. Die New Yorker Kneipe in Ein gutes Herz ist Auffangbecken für all die Stammgäste, die sich keinen Platz an der Sonne sichern konnten. Diese Männer bilden eine fragile Familie, deren Zukunft in den Händen des so schutzlosen Lucas keineswegs sicher scheint. Jacques unterrichtet zwar seinen Schüler in hinter der Theke gesammelter Lebensweisheit. Zu Kunden dürfe man nicht nett sein, schärft er ihm ein, und man fragt sich, ob Lucas den Alten auch einmal anraunzen wird.

Paul Dano beherrscht die Rolle des zutiefst irritierten Jugendlichen, die er schon in Gestalt des freiwillig stummen Dwayne in Little Miss Sunshine pflegte, eindrucksvoll. Die schrägen, wortkargen Figuren weisen auf eine brüchige Welt hin, aber von New York ist nicht viel zu sehen außer ein paar verlassenen Straßen, einem Schrottplatz. Die Farben sind reduziert, draußen ist es oft dunkel, in den Räumen schimmert das Licht bläulich oder wird vom Dunkelbraun der Kneipe betäubt. In dieser freudlosen Umgebung wirkt der Zynismus von Jacques wie zu Hause, er ist treffsicher und witzig, aber nicht sonderlich überraschend. Aber Kári malt diese atmosphärisch ansprechende Milieuzeichnung nicht weiter aus, sondern fügt allmählich eine zweite Erzählperspektive hinzu. Er lässt den Zufall Schicksal spielen, kleine Wunder passieren, er relativiert den bisherigen Eindruck von Wirklichkeitsnähe und blickt von einer philosophischen Warte auf seine Figuren herab.

So lässt Kári eines Tages die junge blonde April (Isild Le Besco) die Kneipe betreten, ohne diese unwahrscheinliche Fügung erläutern zu wollen. Die gefeuerte Stewardess ist nicht nur fortan einfach da, sie lächelt auch Jacques’ Einfluss auf Lucas bedrohlich nieder. Dann entlarvt er die Rollen von Lucas und Jacques, der Gutmensch und das Ekel, als unhaltbar, als fiktive Pole auf der Skala des Lebens, welches doch nur Mischformen kennt.

Bei so viel Zauber ist es kein Wunder, dass das Ende vollkommen unerwartet und auch ein klein wenig rätselhaft ausfällt – es regelt für die Figuren, wofür ihnen die Geschichte keinen natürlichen, keinen aktiven Weg mehr zugetraut hat. Aber so ist das eben im Kino: Wunder gibt es immer wieder.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ein-gutes-herz