Friedensschlag

Schrei nach Liebe

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Friedensschlag ist ein bewegender Dokumentarfilm über jugendliche Straftäter, aber auch über sehr engagierte Sozialarbeiter, die alles versuchen, um den Jugendlichen einen Weg nach vorne zu weisen. Das Projekt Work and Box, bei dem die Jugendlichen ihre Aggressionen über gezieltes Boxtraining kontrollieren sollen, scheint dabei wesentlich menschlicher und effektiver zu sein, als andere Sanktionsverfahren.
Aus einem ersten Impuls heraus hätte die Überschrift eigentlich "Perspektivlosigkeit Leben" lauten sollen, denn das drängt sich anfangs bei diesem Dokumentarfilm von Gerardo Milsztein auf. Es geht um Jugendliche, die straffällig geworden sind und denen der Knast droht. Die einzige Chance den Knast abzuwenden, ist das Projekt Work and Box. Hier setzen sich Sozialarbeiter dafür ein, den straffällig gewordenen Jugendlichen eine Perspektive aufzuzeigen, denn die haben sie ihrer Meinung nach nicht. Sie finden keinen Sinn im Leben, haben durch ihre Sozialisation gelernt, dass Reden überflüssig und Zuschlagen das Mittel der Wahl ist. So sind das alles sehr gewaltbereite Jugendliche, denen man in ihrem Entwicklungsprozess – oder auch Nicht-Entwicklungsprozess - während des Filmes folgt. Wenn man selbst ein intaktes soziales und berufliches Umfeld hat, mit körperlichen Aggressionen gar nichts oder nur sehr wenig zu tun hat, dann kommt man sich beim Ansehen des Films ein wenig wie ein Voyeur vor. Die Protagonisten sind scheinbar ganz offen und ehrlich vor der Kamera, wofür der Regisseur unter anderem eine Black Box verwendet, die von den Jugendlichen selbst gestaltet wurde, indem sie eine Tafel mit Graffitis vollgesprayt haben. An diesen Ort können sie sich zurückziehen, sprechen dennoch in die Kamera und somit direkt zum Zuschauer. Dadurch wird ein sehr persönliches, individuelles Bild der einzelnen jungen Männer sichtbar. Während man sich als Zuschauer auf die latente Gewaltbereitschaft der Jugendlichen eingelassen hat, verschwimmt allmählich das Bild des Perspektivlosigkeit und es erscheinen ganz individuelle Charaktere, die allesamt traumatische Kindheitserfahrungen gemacht haben: Schlagende Väter, kaputte Beziehungen oder der verfrühte Tod der Mutter mögen das Verhalten der Jugendlichen erklären, deren eigentliche Motivation jedoch ein einziger Schrei nach Liebe ist. Etwas, was sie offensichtlich nie erfahren haben. Ganz langsam entblättert sich so bei jedem Einzelnen eine weitere Persönlichkeit, die in ihrer Hilflosigkeit jenseits der Aggressivität liegt.

Die schwierige Aufgabe, die sich die Sozialarbeiter gestellt haben, besteht nicht nur darin, den Jugendlichen eine Berufs- und Lebensperspektive aufzuzeigen, sondern auch deren Aggressionen unter Kontrolle zu bekommen. Dafür haben sie ein Boxtraining auf den Stundenplan gesetzt, wofür sich die Jugendlichen aber nur wenig begeistern können. Das erstaunt, denn eine ihrer Lieblingsfreizeitbeschäftigungen bestand ja aus Schlagen und Prügeln. Beim Boxtraining müssen sie nun lernen, auch ihren Kopf zu benutzen, ihre Aggressionen zu kontrollieren, denn blindes Drauflosschlagen hat in der Sporthalle definitiv nichts zu suchen. Sie fühlen sich dadurch in ihrer Ausdrucksweise eingeschränkt, wollen ihr eigenes selbstbestimmtes Leben führen, auch wenn sie gar nicht wissen, wie das aussehen soll. Und dennoch haken die Sozialarbeiter unermüdlich so lange nach, bis jeder der Jugendlichen seinen innersten Wunsch nach außen gekehrt und verbalisiert hat. Sie wollen durchaus eine Integration in die Gesellschaft oder wenigstens eine Perspektive haben, die jenseits von Arbeitslosigkeit und Gewalt liegt. Aber immer wieder scheitern die Bemühungen der Sozialarbeiter, mühsam errungene Ausbildungsplätze werden abgesagt, das sogenannte geregelte Leben ist eine Überforderung für die jungen Männer. Vor allem für einen von ihnen, Marco, dem wohl größten Sorgenkind dieses Dokumentarfilms. Er hat mit zehn Jahren seine Mutter an eine Überdosis Heroin verloren, womit er auch Jahre später noch nicht klar kommt und sich zu allem auch noch die Schuld an ihrem Tod gibt. Diese Selbstvorwürfe äußern sich bei ihm letztendlich in Hass gegenüber seiner Umwelt, worüber sein bildhübsches Äußeres kaum hinweg täuschen kann. Diese ganzen Schicksale berühren den Zuschauer zutiefst, aber auch die unermüdliche Arbeit der Sozialarbeiter. Ohne Druck und Gewalt, mit einer Engelsgeduld versuchen sie immer wieder den Jugendlichen Ziele und Wege aufzuzeigen, und das, obwohl die Jungs bisweilen wie wütende Pitbulls um sich beißen. Die Geduld zahlt sich letztendlich aus, ihre Zuneigung wird erwidert und gemeinsam wird an Visionen gearbeitet.

Die Statistik gibt den Sozialarbeitern recht. Achtzig Prozent der Jugendlichen von "Work and Box" sind in die Gesellschaft reintegriert worden, sie haben Ausbildungsplätze oder Arbeitsstellen bekommen und Familien gegründet. Somit wurde das Vertrauen, das die Sozialarbeiter in die Jugendlichen gesetzt haben, belohnt und ihre Arbeit ebenfalls. Auch wenn die Kämpfe der Einzelnen nicht leicht sind und sie sich vielfach extrem auf ihrem ehemals chancenlosen Weg quälen, so führt sie das Ergebnis in eine bessere Welt und in den Ausstieg aus der Gewaltspirale.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/friedensschlag