Im Schatten des Tafelberges

Ein eindringlicher Blick auf das andere Südafrika

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wenn sich in diesen Tagen und den nächsten Wochen die Augen der Welt auf Südafrika richten, werden wir hoffentlich abseits des grünen Rasens erleben können, wie dieses Land im Zuge der Fußball-WM zusammenwächst und sich als wahre Regenbogennation mit Zukunft präsentiert, die die Bürde der Vergangenheit abgeschüttelt hat. Die Gegenwart jedenfalls ist auch 16 Jahre nach dem Ende der Apartheid nach wie vor für einen Großteil der Bevölkerung düster, wie Alexander Kleider und Daniela Michel in ihrem Dokumentarfilm Im Schatten des Tafelberges – When the Mountain meets its Shadow zeigen. Ihr Film zeigt die Realitäten des Landes und deckt auf, wie sich das historische Unrecht auch gerade durch die Fußball-Weltmeisterschaft nahezu nahtlos fortsetzt – lediglich die Vorzeichen haben sich verschoben: "Früher war es ‚nur für Weiße’, heute ist es ‚nur für Reiche’", so sagt einer der Protagonisten des Films. Was während der Apartheid das rassistische Regime an Ungleichheit und Ungerechtigkeiten manifestierte, wird heute zu die "Segnungen" der Privatisierung der Wohnungswirtschaft und der Grundversorgung erledigt. Das Ende der Rassentrennung hat die Slums nicht beseitigt – im Gegenteil. Doch wer nun glaubt, dieses Unrecht würde die Menschen mutlos machen, sieht sich gerade durch die Beispiele, die hier gezeigt werden, eines Besseren belehrt.
Die Filmemacher begleiten unter anderem Ashraf und Mne von der "Anti-Eviction-Campaign" (AEC), die nachts durch die Straßen ziehen, um die Wassersperrungen in den Townships zu beseitigen und sich und den anderen unerwünschten Bewohnern ein einigermaßen normales Leben zu ermöglichen. Sie sind wie viele andere der armen Südafrikaner von Zwangsräumungen bedroht – und zwar vor allem deswegen, weil sich ihre Hütten und Quartiere in der Nähe des Flughafens und am Rande des vor allem von Touristen befahrenen Highway N2 liegen. So viel sichtbare Armut könnte sich auf die allgemeine Feierstimmung und Euphorie niederschlagen – und das möchte man von staatlicher Seite gerne verhindern.

Zu den Schwierigkeiten der Gegenwart kommen noch die Erinnerungen an die Erlebnisse in der unruhigen der Vergangenheit hinzu, von den Ashraf und Mne erzählen und die sie wohl niemals loswerden: Gemeint sind die zahlreichen Toten bei den Unruhen und Aufständischen in den Siebzigerjahren, in denen sie miterleben mussten, wie Polizei und Militärs nicht einmal vor den Erschießungen von Kindern zurückschreckten. Doch das Unrecht, dass die beiden erfuhren, kam keineswegs nur von den Staatsorganen, sondern durchaus auch von den eigenen Leuten: Wer nach staatlicher Folter von den Mitgliedern des ANC verdächtigt wurde, ein "informer" des Apartheid-Regimes zu sein, wurde bei lebendigem Leib mittels Autoreifen verbrannt – ein weiteres dunkles Kapitel in der Geschichte des Landes, über das heute lieber der Mantel des Schweigens gedeckt wird.

Neben den beiden Mitgliedern der Graswurzelbewegung AEC zeigt der Film aber auch den Kampf weiterer Südafrikaner gegen den festzementierten Status quo einer Gesellschaft, in der die extreme Armut Vieler und der extreme Reichtum Weniger hart aufeinanderprallen. Wie etwa bei Zoliswa, die selbst in einer ärmlichen Wellblechhütte lebt und die bei ihrer Arbeit als Dienstmädchen in einer reichen, überwiegend von Weißen bewohnten "gated community" jeden Tag am eigenen Leibe erfährt, wie es ist, wenn man nicht zu den Privilegierten im Lande gehört.

Wer denkt, dies alles sei weit weg und eben irgendwie "typisch afrikanisch", sollte sich dabei nicht allzu sicher sein. Schließlich klafft auch hierzulande die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. In Sachen kreativer Widerstand und Lebensmut können wir sicher einiges von den bewundernswerten Menschen lernen, die in diesem Film zu Wort kommen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/im-schatten-des-tafelberges